Leseproben für kleine Schmökerratten
- Kinderbücher von Indie-Autoren
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Dienstag, 15. Dezember 2015

Davie und der geheimnisvolle Mister Atnas von Brigitte Endres




Ein Weihnachtsmärchen in New York

Klappentext
Davie ist gar nicht weihnachtlich zumute. Warum war Mum nach der Scheidung auch nach New York gezogen? Er vermisst seinen kleinen Hund, den er in Wisconsin zurücklassen musste. Dad hatte jetzt eine neue Frau und einen neuen kleinen Jungen. Davie denkt nicht daran, Weihnachten mit ihnen zu verbringen. So wie Mum noch nicht den richtigen Partner gefunden hat, hat auch Davie hier noch keine Freunde, seine Klassenkameraden halten ihn für ein Landei. Deshalb vertreibt er sich die Zeit oft damit, durch sein Fernglas aus dem 20sten Stock in die Wohnungen gegenüber zu sehen.
Auch an dem grauen Dezembertag, an dem die Geschichte beginnt, sitzt Davie wieder am Fenster. Als er aus purer Langeweile das Fernglas umdreht – stutzt er. Klar und deutlich erkennt er einen alten bärtigen Mann mit einer Pudelmütze, der ihm von einem Dach in der City aus zuwinkt. Davies Neugier ist geweckt, er macht sich auf die Suche und findet ihn schließlich.
Wie diese Begegnung Davie Trost und Hoffnung schenkt, aber auch die Aussicht auf eine neue Familie, erzählt dieses berührende Weihnachtsmärchen.
Für Kinder ab 8 Jahren.
Erhältlich bei Amazon



Leseprobe

Zweites Kapitel
Doch an diesem Abend kam Davies Mutter, Mrs. Donegal so bedrückt von der Arbeit heim, dass Davie die Sache mit dem magischen Fernrohr völlig vergaß.
„Davie“, sagte sie mit belegter Stimme. „Dein Vater hat bei mir im Büro angerufen. Er möchte, dass du mit ihm und seiner neuen Familie Weihnachten feierst.“
Davie schoss augenblicklich das Blut in den Kopf. „Aber das will ich nicht“, rief er ganz außer sich. „Das kannst du ihm ausrichten! – Und überhaupt … Warum lassen wir Weihnachten dieses Jahr nicht einfach ausfallen?“
„Aber Davie“, entgegnete seine Mutter erschrocken. „Weihnachten kann man doch nicht einfach ausfallen lassen.“ Sie nahm ihn in den Arm. „Wir machen es uns auch zu zweit gemütlich.“ Sie fuhr ihm übers Haar. „Alles wie immer. Okay? Baum, Geschenke, Truthahn …“
Davie versteifte sich. „Nichts ist wie immer.“
Mrs. Donegal sah ihren Sohn betroffen an. Wo war ihr fröhlicher, unbeschwerter Davie geblieben? War er wirklich dieser Junge mit dem mürrischen Gesicht? Sie ließ das Thema ‚Weihnachten‘ erst einmal auf sich beruhen.
Trotzdem war an diesem Abend der Wurm drin.
Nach dem Essen legte Davies Mutter das Besteck beiseite. Davie sah ihr an, dass sie etwas loswerden wollte, etwas das ihr anscheinend ziemlich auf der Seele lag.
„Davie, ich möchte dir was sagen … Ich hab da jemanden kennengelernt …“
Davie starrte sie an. „Schon wieder?“
Seine Mutter fuhr zurück. „Sei nicht gemein, Davie! Es ist eben nicht jeder Erstbeste Mister Richtig.“
„Ist es jeder Viertbeste?“, schoss Davie patzig zurück und sprang auf. „Willst du mich deshalb an Weihnachten zu Dad verfrachten?“
„Davie!“, die Stimme seiner Mutter überschlug sich vor Schmerz und Enttäuschung. „Denkst du das wirklich?“
Aber da war Davie schon in sein Zimmer gerannt.
Er warf sich aufs Bett. Dad hatte sie verlassen und danach hatte Davie Dad verlassen. Er wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sollte er glücklich werden mit der Neuen und dem neuen Kind. Mum und er brauchten ihn nicht. Normalerweise sprachen sie nicht mal über ihn.
Das Jahr vor der Trennung war ein schlimmes Jahr gewesen. Mum hatte später gesagt, sie hätte Dad nie heiraten dürfen. Aber sie hatte es eben doch getan. Seinetwegen, Davies wegen. Mum war mit achtzehn schwanger geworden. Dad und sie kannten sich damals noch nicht sehr lang. Davie wusste nur, dass Mum das Baby, also ihn, unbedingt haben wollte. In New York wäre das kein Problem gewesen. In einem kleinen Städtchen in Wisconsin aber war es ein Problem. Oma und Opa mussten ziemlich Ärger gemacht haben, und dann hatte sich auch noch der Pastor eingemischt. Heiraten sollten die jungen Eltern, damit alles seine Ordnung hatte. Und schließlich heirateten sie tatsächlich. Mum sagte mal, sie habe Dad zwar gemocht, aber Liebe sei es nicht gewesen. Doch sie habe gehofft, dass die Liebe mit der Zeit käme.
Davie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und fixierte die Schatten an der Zimmerdecke.
Liebe. Die beiden passten einfach nicht zusammen. Ihm war das lang gar nicht aufgefallen. Für ihn war ja auch alles in Ordnung. Er stromerte draußen herum, spielte mit Groovy und Steve und besaß ein schönes großes Zimmer mit allem, was ein Junge so brauchte. Auch als Mum ins Gästeschlafzimmer zog, hatte er sich noch keine Sorgen gemacht. Dad ging an den Wochenenden oft mit ihm zum Fischen oder ins Stadion, wenn die Brewers spielten. Aber ganz allmählich wurde das immer seltener. Und dann waren Mum und er oft allein an den Abenden und an den Wochenenden. Wenn Dad jedoch mal da war, gab es nichts als Streitereien. Eines Tages zog Dad schließlich aus. Davie hatte am Fenster gestanden und zugesehen, wie er zwei große Koffer in den Jeep warf. Erst dachte Davie, dass er bald wieder heimkommen würde. Aber da hatte er sich getäuscht. Als Mum nämlich erfuhr, dass Dad mit einer anderen Frau ein Kind erwartete, reichte sich die Scheidung ein.
Davie krampfte es heute noch den Magen zusammen. So leicht war das also. Man besorgte sich einfach eine neue Familie, wenn es mit der alten nicht klappte. Aber das Schlimmste war, dass Davie oft dachte, dass er an allem schuld war. Ohne ihn hätten die beiden nie geheiratet. Ohne ihn wäre Mum sicher viel glücklicher geworden. Dad konnte ihm gestohlen bleiben. Davie ging nie ans Telefon, wenn sein Vater ihn sprechen wollte und er weigerte sich bis heute standhaft, ihn zu besuchen.
Fast ein Jahr lebten Mum und er noch in dem weißen Häuschen mit der Veranda. Dann zog Mum den Schlussstrich. So hatte sie das damals genannt. Sie verkaufte das Häuschen und bewarb sich um die Stelle in New York. Davie verstand ja, dass sie neu anfangen wollte. Aber für ihn war es einfach schrecklich gewesen. Er fühlte wieder diese dunkle, trostlose Traurigkeit hochsteigen, die seither immer in ihm lauerte.
Noch beim Frühstück am nächsten Morgen herrschte dicke Luft. Es kam selten vor, dass Davie und seine Mutter sich nicht vertrugen. Aber jeder von ihnen knabberte noch an dem Streit von gestern.
Nach der Schule machte sich Davie nicht sofort auf den Heimweg. Es wartete ja niemand auf ihn. Die seltsame Fernglaserscheinung von gestern zog ihn in die Innenstadt. Er wollte wissen, ob das gestern eine Fata Morgana gewesen war. Und wenn nicht – was es dann gewesen war.
Ein Gutes hatte New York, wenn man die Hauptrichtungen kannte, konnte man sich kaum verlaufen. Fast alle Straßen waren wie auf einem Schachbrett angeordnet. Entschlossen bog er in die 40ste Straße West ein.
Es war ein grauer Tag, nasskalt und ebenso trüb wie seine Stimmung. Eisiger Wind zog durch die Häuserschluchten. Davie rieb sich die Hände. Verdammt, warum hatte er seine Handschuhe daheim liegen lassen? Gut, dass er wenigstens eine Mütze mithatte. Seine Nase tropfte.
Die Leute hetzten an ihm vorüber. Hier in New York hatten es immer alle eilig. Daran hatte er sich auch erst gewöhnen müssen. Alles hier war schneller, lauter, größer, greller. Alles war irgendwie übertrieben.
In den Schaufenstern glitzerte und blinkte es. Gold und Silber, Grün und Rot. Sterne, Engel, Zwerge – und natürlich Weihnachtsmänner. Schnarchende, singende, beleuchtete, welche mit und ohne Rentier.
Und dann, vor dem Eingang von Macys: ein Weihnachtsmann aus Fleisch und Blut. Er bimmelte in einem knallroten, weiß abgesetzten Samtkostüm mit einer Glocke.
Peinlich, dachte Davie. Sein Bart sieht so billig aus! Nicht mal ein Blinder würde darauf reinfallen.
„Hoho!“, grölte der Mann im Kostüm, als Davie an ihm vorbeikam. „Fröhliche Weihnachten.“ Mit aufgesetztem Grinsen hielt er ihm einen Korb mit Werbegutscheinen unter die Nase.
Davie schüttelte den Kopf und ging weiter. Der falsche Weihnachtsmann zog eine beleidigte Grimasse, aber das bekam Davie nicht mehr mit.
Als die 40ste auf die Park Ave stieß, schwenkte Davie nach rechts. Er war sich fast sicher: Das Hochhaus mit dem grünen Türmchen musste irgendwo in der Nähe des Hauptbahnhofs stehen. Inzwischen durchbohrte in die Kälte wie Nadelstiche, sein Ärmel war vom vielen Nasewischen widerlich feucht. Aber bis zum Bahnhof war es jetzt nicht mehr weit. Schon von Weitem sah er den Bahnhofseingang mit den griechischen Säulen. Allerdings musste er auf die andere Seite, zu dem hohen Teil des Gebäudes, in dem früher einmal die Verwaltung untergebracht war.
Der Wind pfiff hier noch ärger. Davie zog die Mütze tief in die Stirn und begann zu rennen. Tatsächlich wurde ihm dabei wärmer. Nach einem ordentlichen Dauerlauf war er endlich am Ziel. Einem schnaubenden Drachen gleich, quoll ihm weißer Dampf aus Mund und Nase. Puh, jetzt hatte er auch noch Seitenstechen! Er war ja völlig aus dem Training! Steve hätte ihn wahrscheinlich um Längen abgehängt und dabei kein bisschen Seitenstechen gehabt. Davie atmete ein paarmal tief durch. Dann reckte er den Kopf.
Das Gebäude, das er suchte, musste eines von den höheren sein. Aufmerksam ging er die Park Ave hinauf. Hier stand ein Hochhaus am anderen. Eine Backsteinkirche mit verschnörkelten Verzierungen an den Fenstern kauerte wie ein verschüchtertes Kaninchen inmitten der hochragenden Konkurrenz.
Und dann blitzte in Davies Kopf plötzlich der Funke des Erkennens auf.
Das da vorn konnte es sein! – Das da vorn war es!
Er wechselte auf die andere Straßenseite, um das Gebäude besser betrachten zu können. Der imposante Bau ragte weit nach oben und besaß nicht ein, sondern zwei Türmchen, die den Abschluss einer größeren Plattform bildeten. Von dieser Plattform aus musste der Mann ihm zugewinkt haben.


Vita:
Brigitte Endres hat Grundschulpädagogik, Germanistik und Geschichte studiert. Heute arbeitet sie als Kinderbuchautorin für Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie für den Bayerischen Rundfunk. Ihre Bücher wurden in viele verschiedene Sprachen übersetzt.  www.brigitte-endres.de


Dienstag, 7. Januar 2014

Auf und weg! von Pebby Art



Klappentext:
Emmas Papa ist abgehauen. Und Auf und weg! sind dann auch Emma und ihr lebendig gewordenes Stoffpferd Floh. Im Räuberwald sind die beiden gelandet. Doch während Floh hier nach Emmas Papa sucht und zusätzlich noch gerne einen Schatz finden würde, sucht Emma aus einem ganz anderen Grund den Schutz des Waldes auf. Sie versteckt sich dort, denn sie ist sicher, dass auch ihre Mama sie verlassen wird. Da haut sie lieber selbst ab.
Unheimlich wird es, als sie merken, dass sie nicht die Einzigen sind, die sich im Räuberwald herumtreiben.
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Wo ist Papa?

„Wo ist Papa?“
Emma reibt sich die Augen. Verschlafen torkelt sie in die Küche. Papa sitzt morgens immer am
Küchentisch, immer hinter seiner Zeitung. Und seine braun-verschmierten Nutella-Finger legen
sich um den Rand der Zeitungsblätter. Papa liebt Nutella.
Heute steht kein Nutella auf dem Tisch. Kein Nutella klebt an Papas Fingern, denn Papas Finger
sind nicht da. Papa fehlt. Nur die Zeitung liegt zusammengefaltet auf dem Tisch. Unbenutzt sieht
sie aus, wie Klopapier auf der Rolle.
Mama sitzt am Tisch und lässt Sonnenblumenkerne auf ein Brot mit Honig plumpsen. Der Honig
pappt durchs Brot. Das wird wieder eine Schmiererei geben, nachher in der großen Pause. Und die
Sonnenblumenkerne pieksen immer im Mund. Hauptsache es ist gesund, sagt Mama immer.
Emma verzieht das Gesicht und fragt noch mal: „Wo ist Papa?“
Endlich schaut Mama auf. Emmas Bauch zieht sich zusammen. Mamas Gesicht sieht so anders
aus, so … so ... Emma weiß nicht genau wie. Anders halt.
Und anstatt auf ihre Frage zu antworten, winkt Mama sie zu sich. Emma wird noch mulmiger
zumute. Was hat das alles zu bedeuten? Schließlich macht sie drei Schritte auf Mama zu. Dann
bleibt sie stehen.
„Emma, jetzt komm mal her.“
Mamas Stimme klingt komisch. Vorsichtig nähert sich Emma. Sie darf sich auf Mamas Schoß
setzen. Das kommt selten vor. Schließlich ist sie schon groß, ein Schulkind, da sitzt man nicht
mehr auf anderer Leute Beinen, sagt Mama immer. Jetzt darf sie. Das ist seltsam.
„Papa ist weg“, sagt Mama.
Emma versteht nicht.
„Wie ‚weg‘?“, fragt sie.
Mama schluckt. „Er ist ausgezogen.“
Emma sackt zusammen. Das kann nicht stimmen. Nie würde ihr Papa sie verlassen.
„Du lügst!“, schreit Emma und rennt die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Wie kann Mama so
etwas Gemeines behaupten?
Emma liegt auf ihrem Bett und weint. Emmas Kissen ist ganz feucht, so als hätte jemand ein
ganzes Glas Apfelsaft auf die Bettdecke gegossen. Nur schmeckt es nicht so süß. Und klebrig ist
es auch nicht. Aus der Ferne, von der Matratzenecke her, schaut Floh aus mitleidsvollen, dunklen
Knopfaugen zu ihr herüber. Dort hat Emma ihn eben achtlos hingeschleudert. Floh ist Emmas
Lieblingsstofftier, ein gelb-beiges Pferdchen mit langer, dunkler Mähne und dünnen hellen
Streifen, die in der Sonne glitzern. Heute türmt sich die Mähne in einem Wust aus Knoten und
Zöpfen an seinem Hals auf. Emma will Friseurin werden, später, wenn sie groß ist. Wenn Emma
Kummer hat, kuschelt sie Floh immer ganz fest in ihre Arme. Nur jetzt nicht. Ihr Kummer ist zu
groß. Sie hat Floh ganz vergessen.
Mama kommt herein und setzt sich zu Emma aufs Bett. Sie erlaubt ihr sogar, heute zu Hause zu
bleiben. Schule schwänzen. Das hat Mama noch nie erlaubt! So furchtbar ist das alles, dass sie
Schule schwänzen darf! Das kann nur bedeuten, dass sie ihren Papa nie, nie mehr wiedersehen
wird. Und Mama erklärt ihr nicht, warum Papa verschwunden ist und wo er hin ist. Da will Emma
auch nicht zu Hause bleiben, und sie packt ihre Schultasche. Vielleicht weiß Lena Rat. Schließlich
ist Lena ihre beste Freundin. Jeden Tag gehen sie zusammen zur Schule. Am Ende der Straße
unter der großen Kastanie, da treffen sie sich immer – jeden Morgen.
Ein schrecklicher Vormittag
Lena steht bereits unter der Kastanie. Emma sieht sie schon von Weitem. Sie kickt einen Stein hin
und her. Typisch Lena, denkt Emma. Lena ist begeisterte Fußballerin und sie kann richtig gut
spielen. Oft ist sie die Heldin ihrer Mannschaft. Manchmal kann Emma das gar nicht leiden. Alle
reden dann nur noch von Lena. Lena hier, Lena da. Alle umkreisen Lena, alle interessieren sich
für Lena. Emma steht dann am Rand. Und sie kriegt Bauchschmerzen. Doch das sagt sie Lena
nicht. Lena soll ihre beste Freundin bleiben.
Gleich wird sie Lena alles erzählen. Sie wird auf Lena zugehen und Lena wird sofort merken,
dass etwas nicht stimmt. Das ist so bei besten Freundinnen. Mit besorgter Miene wird Lena
fragen, was los sei. Und dann wird Emma mit der schockierenden Nachricht herausplatzen: Papa
ist weg!
Doch es kommt ganz anders. Lena hatte gestern ein wichtiges Fußballspiel, und als sie jetzt
Emma entdeckt, läuft sie ihr jubelnd entgegen. So ein Mist! Lena ist viel zu gut drauf für
schlechte Nachrichten.
Und so ist es auch: Lena hat gestern das entscheidende Tor geschossen, erfährt Emma gleich
als Erstes. Ein Tor in allerletzter Sekunde. Dabei ist sie vorher noch gefoult worden, ganz böse,
und der Schiedsrichter hat nicht gepfiffen, nichts gesehen hat der, sagt Lena. Diese Niete. Doch
dann hat Lena sich den Ball zurückerobert und zu einem Superschuss ausgeholt. Lena ist so
begeistert, dass sie gar nicht mitkriegt, wie Emma mit hängendem Kopf und hängenden Schultern
neben ihr herschlurft.
Und da ist auch schon die Schule. Jetzt ist es eh zu spät. Jetzt braucht Emma Lena nichts von
ihrem Kummer erzählen. Jetzt würden alle anderen es mitkriegen, weil sie bestimmt weinen
müsste. Wütend tritt Emma gegen einen dicken Stein. Autsch! Auch das noch. Der Stein liegt
noch an derselben Stelle, doch Emmas Zeh fühlt sich an, als hätte gerade jemand mit einem
Hammer zugehauen. Schon spürt Emma, wie ihr eine Träne die Wange herunterkullert. Weitere
Tränen drängeln sich zwischen ihren Wimpern hervor. Schnell wischt Emma sie mit dem
Jackenärmel weg.
„Du machst das auch ganz falsch“, sagt Lena, „du musst das mit dem Seitenrist machen. Hier
… so.“
Sie tritt gegen den Stein und er jagt vorwärts, als wäre er ein richtiger Ball. Lena strahlt.
„Ist doch nicht so schlimm“, sagt Lena, als sie in Emmas trauriges Gesicht schaut. Sie legt
ihren Arm um Emmas Schulter und zieht sie mit ins Schulgebäude.
Und so kommt es, dass Emma Lena nichts erzählt, auch nicht auf dem Nachhauseweg.
Irgendwie fehlen ihr jetzt die Worte. Heute Morgen, da hatte sie sich alles zurechtgelegt. Aber
jetzt, jetzt ist es zu spät. Die Worte sind runtergerutscht, tief in ihrem Bauch bilden sie einen
Klumpen, der immer größer wird.
Als Emma zuhause ankommt, versucht Mama sie zu trösten, sagt, dass Papa sie besuchen komme
und bestimmt könne sie bald mal bei Papa übernachten. Doch Emmas Klumpen im Bauch wird
nicht weniger. Er wandert nur manchmal hin und her zwischen Magen und Hals. Besonders weh
tut er, wenn er im Hals sitzt. Dann tut jedes Spucke-Hinunterschlucken so weh, als würde jemand
ihren Hals würgen. Und natürlich hat sie gerade dann einen ganzen Bottich voll Spucke im Mund.
Papa ist abgehauen. Emmas Tränen laufen hinterher. Nicht mal „Tschüss“ hat er gesagt.
Einfach verschwunden ist er. Weggehext, nicht mehr da. Und Emmas Welt ist kaputt. Und das
Schlimmste ist, Emma weiß jetzt, warum er gegangen ist. Nicht sofort ist ihr das klar gewesen,
doch heute Vormittag hat ihre Lehrerin, Frau Günther, etwas von Frühlingsblumen erzählt. Da ist
Emma dieser furchtbare Gedanke durch den Kopf geschossen: Sie, Emma, ist schuld daran, dass
Papa nicht mehr da ist. Und das ist so schlimm, das tut mehr weh, als wenn jemand ihre
Lieblings-Barbie, die Rapunzel, in den Müll geschmissen hätte. Und für Rapunzel hat sie
wochenlang gespart. Und wenn Papa wegen ihr, wegen Emma, abgehauen ist, dann wird er sie
nicht sehen wollen. Dann wird sie ihn nie besuchen, nie bei ihm übernachten, nie mehr seine
Räubergeschichten hören, nie mehr an ihn gekuschelt bei ihrem Lieblingsfilm „Spirit“ mitfiebern
können. Und alles wegen der Schatzsuche und Mamas Blumen und Emmas Trotzkopf.
Emma starrt vor sich hin. Sie hat doch nicht ahnen können, dass es so enden würde. Und dann
kommt ihr noch ein Gedanke: Und wenn Mama nun auch …? Sie wagt gar nicht, das zu Ende zu
denken.
Ein Floh namens Heinz
Das Mittagessen schiebt Emma nur ein wenig auf dem Teller hin und her. Ihre Gedanken kreisen
um einen einzigen Satz: ICH BIN SCHULD. Emma schluckt. Mama fragt, woran sie denkt. Doch
das kann sie Mama nicht sagen.
Sie verkriecht sich in ihr Zimmer und schließt die Tür ab.
„Na endlich!“
Erschrocken dreht Emma sich um. Wer hat da gesprochen? Auf ihrem Bett liegen nur ihre
Kuscheltiere. Hat sich jemand in ihrem Schrank versteckt? Auf Zehenspitzen schleicht Emma
hinüber. Dann reißt sie die Schranktür auf. Ihre schräg aufgetürmten Gesellschaftsspiele verlieren
das Gleichgewicht und fallen ihr entgegen. Mist! Emmas Blick schweift erneut durchs Zimmer.
Alles ist ruhig. Nichts bewegt sich, keiner spricht. Hat sie sich das eben nur eingebildet? Ihr Blick
bleibt an ihrem Bett haften. War da gerade eine Bewegung unter ihrem Bett? Emma hält den
Atem an, schleicht zum Bett herüber. Schnell bückt sie sich, zwinkert mit den Augen, versucht,
unter dem dunklen Bett etwas zu erkennen. Eine alte Puppe liegt da und allerlei dies und das, was
beim Aufräumen halt darunter geraten ist. Aber sonst?
„Wen suchst du?“
Emma reißt ihren Kopf hoch. Der Bettpfosten bleibt, wo er ist und Emma knallt dagegen. Autsch!
Emma verzieht ihr Gesicht. Ihr Blick fällt auf Floh. Auf sein Gesicht und dieses Gesicht –
zwinkert ihr zu? Nein – nicht das Gesicht, aber das Auge, das eine, das hat ihr zugezwinkert,
oder? Emma reibt sich die Augen – und Floh schüttelt den Kopf. Da bleibt Emma die Spucke
weg. Das gibt es doch nicht!
„Floh?“
„Heinz!“, sagt Floh.
„Wie, Heinz?“ Emma rückt ganz nah an Floh heran.
„Ich heiße Heinz“, sagt Floh und schleckt ihr durchs Gesicht. Mit einer kleinen rosigen Zunge
schlabbert er eine letzte Träne ab.
„Die sind echt lecker.“ Jetzt schmatzt er.
„Warum kannst du sprechen?“
„Weil ich Heinz, der Besondere bin!“, erwidert Floh. „Und ich kann nicht nur sprechen, ich
kann hüpfen, springen, laufen.“ Schon hopst er auf dem Bett auf und ab, bis ihm der Knoten
seines Mähnenschopfes mit einem Schlag auf die Stirn ein K.o. verpasst.
„Ups“, gurgelt er, „befreie meine Mähne doch bitte von diesen blöden Knoten.“
„Das sind keine blöden Knoten, das sind Zöpfe“, sagt Emma und zupft vorsichtig die Bänder
aus der Mähne. Floh schüttelt sich.
„Warum bist du, bist du ... plötzlich lebendig?“
„Weil deine Tränen so lecker sind. Die musste ich kosten.“ Und er durchwühlt mit seinem
Maul das Kopfkissen. „Ich bin vorhin in deine Tränenpfütze gerutscht. Und jetzt kann ich mich
bewegen! Toll, was?“
Er schmeißt sich auf den Rücken und paddelt wild mit den Hufen in der Luft herum. Emma muss
ein wenig lachen. Doch dann fällt ihr ein, dass sie traurig ist und warum sie traurig ist.
„Weißt du denn, warum ich geweint habe?“, fragt Emma.
„Damit ich mich bewegen kann!“
„Nein.“ Emma muss trotz aller Trauer wieder ein wenig lachen.
Floh hört auf mit den Beinen in der Luft herumzuschlagen und schaut Emma an.
„Mein Papa ist weg“, sagt Emma leise.
„Oh“, meint Floh und dreht sich auf die Seite. „Hab‘ ich dir schon erzählt, was für einen
prachtvollen Vater ich habe? Einen echten Araberhengst, einen aus der Wüste.“
Floh springt auf seine Hufe und tänzelt elegant das Kopfkissen auf und ab.
„Mein Papa ist weg!“ Was interessieren Emma jetzt irgendwelche Pferde aus der Wüste? „Das
ist schlimm!“, ruft sie.


Leserstimmen:
 
"Die Handlung entwickelt sich sehr schnell und ohne große Längen, sodass keine Langeweile aufkommt.
Sehr süß sind auch die bunten Illustrationen, die nicht nur hübsch aussehen, sondern auch gut zum Inhalt passen. (...)
»Auf und weg!« ist ein süßes Kinderbuch zum Vorlesen und Selberlesen, das Kindern Sicherheit und Selbstvertrauen vermittelt, wenn die Beziehung der Eltern in die Brüche geht.(..)"

"(...).Die Geschichte ist einfach und lustig geschrieben und eignet sich zum Vor- und Selberlesen.
Sehr empfehlenswert!"

"Eine tolle Geschichte. Unsere Tochter ist begeistert."