„Was sind
das für komische Dinger auf deinem Rücken?“ fragte er neugierig.
„Das? Ach,
das sind meine Flügel. Hast du denn keine?“
„Nein, so
etwas brauche ich nicht.“
„Aber wie
kannst du dann fliegen?“ wunderte sich Lulu.
„Magie…“,
entgegnete der Mondelf und zwinkerte ihr zu.
Schwupps,
schwebte er auf den Pilz hinauf.
Die kleine Sonnenfee Lulu liebt es, im Sonnenlicht mit den
anderen Sonnenfeen über das Wasser ihres Sees zu fliegen und zu tanzen. Doch
nun ist das Sonnenlicht schon seit Wochen verschwunden… Lulu macht sich auf den
Weg, um das Geheimnis zu lüften. Unterwegs trifft sie den Mondelfen Ravin, der
kurzerhand beschließt, ihr zu helfen. Werden sie es schaffen, das Sonnenlicht
zurück zu holen?
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Leseprobe:
In einem fernen Land, vor langer Zeit, lebte einmal eine kleine
Sonnenfee. Ihr Name war Lulu. Wenn die Sonne schien,
sang und tanzte sie mit den anderen Sonnenfeen den ganzen Tag und flog mit
ihnen ganz dicht über das Wasser des Sees, an dem sie zu Hause waren. Deshalb
sah das Wasser bei Sonnenschein immer so aus, als würde es glitzern und das
verzauberte die Menschen, die in den Häusern am Ufer des Sees wohnten. Wenn die Sonne nicht herauskam, blieben die Sonnenfeen in
dem kleinen Wäldchen, das direkt neben dem See lag und vertrieben sich die
Zeit.
Nun kam es, dass die Sonne sich einmal für mehrere
Tage nicht blicken ließ. Das hatte es vorher noch nie gegeben. Die Sonnenfeen
begannen, sich in dem kleinen Wäldchen zu langweilen, vermissten sie doch das
Singen und Tanzen. Und ganz besonders vermissten sie den Anblick des
glitzernden Wassers. Auch die Menschen fingen langsam an, sich Gedanken zu
machen – aber was sollten sie anderes tun, als abzuwarten?
Lulu wollte nicht mehr warten.
Sie hatte genug von der Langeweile und eines Tages
brach sie auf, um herauszufinden, welche Geheimnisse tiefer im Wald noch auf
sie warteten. Keine Sonnenfee hatte sich jemals zuvor weiter in den Wald hinein
gewagt, denn es ging die Sage um, dort würden schreckliche Gestalten hausen.
Unheimliche Wesen, die das Sonnenlicht meiden und nur bei Nacht hervorkommen...
Doch Lulu hatte keine Angst.
Nichts, dachte sie, kann schrecklicher sein als diese Langeweile,
denn inzwischen waren schon mehrere Wochen ohne Sonnenschein vergangen. Die
Pflanzen begannen bereits zu verkümmern, da ihnen das kostbare Sonnenlicht
fehlte.
Lulu hatte das Gefühl, irgendetwas unternehmen zu
müssen.
Den Warnungen der übrigen Sonnenfeen zum Trotz,
packte Lulu eine kleine Umhängetasche mit etwas Proviant und brach auf. Sie
lief und lief immer weiter in den Wald hinein und wenn ihre Füße schmerzten,
flog sie ein Stück. Die Bäume wurden immer höher, der Wald immer dichter.
Seltsame Geräusche, die sie noch nie vorher gehört hatte, drangen an ihr Ohr.
War sie am Morgen noch frohgemut und voller Hoffnung aufgebrochen, wurde sie
nun immer trauriger und verzweifelter, je tiefer sie in den Wald gelangte.
Gerade als Lulu schon überlegte, doch lieber wieder umzukehren, stand sie
plötzlich auf einer Lichtung. Müde ließ sie sich auf einem großen Pilz nieder
und schaute sich um.
Was hier für prächtige Blumen blühten! Ihnen schien
das wenige Sonnenlicht gar nichts auszumachen, sie hatten große Blüten in den
schönsten Farben.
Lulu freute sich über
ihren bequemen Rastplatz inmitten dieses Blumenmeeres, doch noch bevor sie
diese Schönheit näher betrachten konnte, war sie vor Erschöpfung in einen
tiefen Schlaf gesunken.
„Hey! Was machst du hier?“
Lulu fuhr aus ihrem Schlaf hoch. Erschrocken blickte sie sich
um, konnte aber niemanden entdecken. Vielleicht habe ich das ja nur
geträumt, dachte Lulu bei sich und wollte sich gerade etwas zu essen aus
ihrer Tasche nehmen, als sie bemerkte, dass es inzwischen Abend geworden war.
„Hey du, ich habe dich etwas gefragt! Was machst du hier?“
Wieder erklang die Stimme und Lulu versuchte, in der Dämmerung
zu erkennen woher sie kam. Da! Endlich entdeckte sie eine dunkle Gestalt
zwischen den Bäumen.
„Ich… ich habe mich nur etwas ausgeruht. Ich habe einen weiten
Weg hinter mir und bin einfach eingeschlafen“, versuchte Lulu zu erklären.
„Du sitzt auf meinem Lieblingspilz“, sagte die
Gestalt, als sie näher kam.
„Verzeih, ich wollte niemanden stören.“ Unruhig
rutschte Lulu auf dem Pilz herum. „Wer bist du überhaupt?“
„Das sollte ich wohl eher dich fragen. Schließlich befindest du
dich hier im Reich der Mondelfen, zu denen du offensichtlich nicht gehörst.“
Mondelfen?!
Von diesen lichtscheuen Gesellen berichteten doch schon die alten
Geschichten der Sonnenfeen! Dass diese tatsächlich der Wahrheit entsprachen,
hatte Lulu nicht für möglich gehalten. Sie verbarg ihre Überraschung und
entgegnete: „Du hast recht, zu den Mondelfen gehöre ich nicht. Ich bin die
Sonnenfee Lulu und komme vom See am Rande dieses Waldes.“
„Sonnenfee? Ich glaub´s ja nicht! Ich dachte, euch
gibt es nur im Märchen!“
Neugierig schwebte der Mondelf auf Lulu zu und so
konnten sie sich gegenseitig betrachten.
Im fahlen Licht des Mondes, der inzwischen hoch am Himmel stand,
traten sie sich gegenüber. Lulu war von dem Pilz herunter geflogen und der
Mondelf erkannte, dass sie, genau wie er, sehr helle Haut hatte. Allerdings
schien ihre beinahe durchsichtig wie der Rest ihrer kleinen Gestalt. Das
Mondlicht brachte sie fast ebenso zum Schimmern wie sonst das Sonnenlicht. Ihre
helle Haut war aber schon die größte Gemeinsamkeit, stellte er fest. Denn
während seine Haare kurz und dunkel waren, hatte Lulu lange, sonnengelbe
Locken. Und während ihre Ohren darunter kaum zu sehen waren, lugten unter
seiner Kappe lange Ohrenspitzen hervor. Besonders erstaunt war er aber über
Lulus Flügel.
„Was sind das für komische Dinger auf deinem Rücken?“ fragte er
neugierig.
„Das? Ach, das sind meine Flügel. Hast du denn keine?“
„Nein, so etwas brauche ich nicht.“
„Aber wie kannst du dann fliegen?“ wunderte sich Lulu.
„Magie…“ entgegnete der Mondelf und zwinkerte ihr zu. Schwupps,
schwebte er auf den Pilz hinauf. „Verrätst du mir, was du in deiner Tasche
hast?“ fragte er Lulu.
„Klar“, erwiderte diese, während sie neben ihn flog. „Aber nur,
wenn du mir deinen Namen sagst.“
„Ravin. Mein Name ist Ravin und nun bist du dran.“
„In der Tasche ist mein Proviant. Als du kamst,
wollte ich gerade etwas essen. Aber jetzt können wir teilen. Hast du Hunger?
Dann setz´ dich zu mir.“
Ravin setzte sich neben Lulu und gemeinsam machten sie sich über
die Vorräte her.
„Was machst du hier so weit weg von zu Hause?“ fragte er
zwischen zwei Bissen.
„Ach, weißt du, seit mehreren Wochen können wir
Sonnenfeen nicht mehr über das Wasser unseres Sees fliegen, singen und tanzen,
da die Sonne nicht mehr richtig scheint. Das wurde mir so langweilig, dass ich einfach aufbrechen musste.
Außerdem verkümmern bei uns wegen des fehlenden Sonnenlichts schon die Pflanzen
und vielleicht finde ich ja etwas heraus?“
„Hm, dass die Sonne nicht mehr richtig scheint, ist mir noch gar
nicht aufgefallen. Aber uns Mondelfen käme das ganz gelegen, denn wir schätzen
die Dunkelheit. Deshalb hätte ich mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht.“
„Kennst du vielleicht trotzdem jemanden, der mir weiterhelfen
könnte?“ fragte Lulu.
„Mal überlegen… ja, wir könnten zur Eule gehen! Sie ist sehr
klug und weiß eigentlich alles.“
Ravin war froh, dass ihm die Eule eingefallen war, denn die kleine
Sonnenfee gefiel ihm und er wollte ihr gerne helfen.
„Super! Dann lass´ uns gleich aufbrechen, ja?“
Lulu wollte schon ihre Tasche packen, da bremste Ravin sie:
„Halt, nicht so schnell, Lulu! Warte hier, ich bin gleich wieder da. Ich möchte
mir nur schnell auch ein paar Sachen einpacken und dann können wir los, okay?“
„Na gut, aber beeil´ dich, ich möchte keine Zeit
mehr verlieren!“ rief Lulu ihm hinterher.
Was für ein Glück, dass ich diesen netten Mondelf getroffen habe, freute
sie sich und erwartete voller Ungeduld Ravin´s Rückkehr.
„Ist es noch weit?“
Lulus Stimme durchdrang die Stille der Nacht.
„Nein, wir sind gleich da. Da vorne, die große Eiche
ist es“, versicherte Ravin.
Der Mondelf hatte in Windeseile seinen Rucksack
gepackt und war, ohne großes Aufsehen zu erregen, zur Lichtung zurückgekehrt.
Sofort hatten die beiden sich auf den Weg gemacht, so dass Ravin gar keine Zeit
blieb, sich über Sinn und Zweck dieser Unternehmung den Kopf zu zerbrechen. Wahrscheinlich
habe ich einfach Lust auf ein Abenteuer, dachte er, denn normalerweise
ließ er sich nicht so schnell auf Waghalsigkeiten ein. Zumal er diese Sonnenfee
ja gerade erst kennengelernt hatte. Aber eine innere Stimme sagte ihm, dass es
richtig und wichtig war, Lulu zu begleiten.
„Hier wohnt die Eule? Ich kann gar kein Nest sehen“, wunderte
sich Lulu.
„Sie wohnt auch nicht in einem Nest, sondern im Baumstamm. Der
ist nämlich hohl. Komm, wir fliegen mal rauf!“
Schwuppdiwupp landeten die beiden direkt vor einer Öffnung im
Stamm auf einem Ast. Daneben war ein kleines Glöckchen angebracht. „3x
klingeln“ stand darüber.
„Na, dann tun wir das mal“, sagte Ravin und zog an
dem Band, das das Glöckchen in Bewegung setzte.
„Ihr seid ja ein putziges Pärchen“, ertönte hinter ihnen eine
kauzige Stimme und der Ast, auf dem sie saßen, geriet ins Schwanken. Die Eule
hatte sich darauf niedergelassen und betrachtete sie amüsiert.
„Eine Sonnenfee und ein Mondelf, das sieht man nicht alle Tage.
Möchtet ihr zu mir?"
„Ja, genau“, sagte Lulu. „Verzeih´ die Störung, wir wollten dich
fragen, ob du weißt, wieso die Sonne nicht mehr richtig scheint. Ravin meinte,
du bist sehr klug und weißt einfach alles.“
„Soso, meint er das. Nun, aus welchem Grund möchtet ihr das
wissen?“
„Wenn die Sonne nicht mehr richtig scheint, können wir
Sonnenfeen nicht mehr über das Wasser unseres Sees fliegen, singen und tanzen
und auch die Pflanzen verkümmern ohne das Sonnenlicht“, erklärte Lulu.
„Also braucht ihr mein Wissen, um damit Gutes zu tun?“ Lulu und
Ravin nickten. „Dann will ich euch etwas verraten, das euch weiterhilft: Geht
zur Moorhexe. Dort werdet ihr die Antwort auf eure Frage finden.“
„Das ist alles? Aber wo wohnt denn die Moorhexe?“ fragte Lulu.
„Sie wohnt in einem kleinen Haus, mitten im Moor des Modders.
Geht immer der Nase nach, dann könnt ihr es nicht verfehlen. Mehr kann ich euch
nicht verraten.“
„Äh… ja, danke“, ratlos blickten sich Lulu und Ravin an. „Dann
machen wir uns mal auf den Weg.“
Die beiden verabschiedeten sich und schwebten vom Baum herunter.
„Sag mal, hast du das verstanden, Ravin? Immer der Nase nach, so
ein Quatsch! Dann kommen wir doch nie an!“
„Nun ja, merkwürdig finde ich das auch, aber die Eule hat
eigentlich immer recht.“ Ratlos zuckte Ravin mit den Schultern. „Ich schlage
vor, wir gehen erst einmal los. Vielleicht treffen wir unterwegs ja jemanden,
der uns den Weg erklären kann.“
Da Lulu keinen besseren Vorschlag machen konnte,
stimmte sie zu und so setzten sie ihren Weg fort.
Sie waren noch nicht lange gelaufen, als die Stimmung im Wald
plötzlich umschlug. Es war auf einmal totenstill – kein Insektensummen, kein
anderes Geräusch der Nacht war mehr zu hören.
„Kann es sein, dass wir da sind? Ich fühle mich plötzlich so
merkwürdig.“ Noch bevor Ravin antworten konnte, war Lulu, die voraus gelaufen
war, ausgerutscht und der Länge nach hingeschlagen.
„Iiiiihhh… hier ist ja alles voller Modder!“ schrie Lulu und
verzog angeekelt das Gesicht.
„Dann sind wir wohl da.“ Ravin konnte sich gerade so ein Lachen
verkneifen. Wie Lulu da so wie ein Maikäfer auf dem Rücken lag, sah sie schon
sehr komisch aus – außerdem war er froh, nicht selbst ausgerutscht zu sein.
„Hallo!? Könntest du mir vielleicht mal hoch helfen? Das Zeug
ist nämlich ganz schön klebrig.“
Ravin nahm sich zusammen und reichte Lulu die Hand. Aber was war
das? Ein Gefühl wie tausend kleine Sonnenstrahlen – warm und kribblig – lief von
der Hand, mit der er Lulu berührte, über seinen Arm direkt bis in sein Herz.
Fast hätte er sie vor Überraschung losgelassen, doch in ihrem Blick konnte er
sehen, dass sie dasselbe fühlte. Schnell zog Lulu ihre Hand zurück, rappelte
sich auf und blickte wie Ravin verlegen zur Seite.
„Mit diesen Flügeln kann ich aber erst mal nicht mehr fliegen“,
versuchte Lulu abzulenken. „Die sind ja total verklebt.“
Verwirrt schüttelte Ravin den Kopf, wobei er weiter draußen im
Moor etwas entdeckte.
„Tja“, meinte er, „und wie willst du dann dorthin kommen?“
Lulu blickte in die Richtung, in die Ravin zeigte und da sah sie
es auch: das Haus der Moorhexe.
Schemenhaft waren die Umrisse des Hauses in der Dunkelheit zu
erkennen. Lulu versuchte, ihre Flügel von dem Matsch zu befreien. Ravin half
ihr, doch sie merkten rasch, dass es sinnlos war. Der Modder klebte einfach zu
stark.
„Dann musst du alleine fliegen“, meinte Lulu enttäuscht. „Zu Fuß
schaffe ich es nie dorthin.“
„Kommt ja gar nicht infrage, ich lasse dich doch nicht alleine
hier zurück!“ Ravin war ganz entrüstet. „Da kann dir ja sonst was passieren!
Nein, da habe ich eine bessere Idee. Siehst du das Seerosenfeld da vorne? Komm
mal mit!“
Lulu hatte keine Ahnung, was Ravin vorhatte, doch sie folgte ihm
vorsichtig. Bei den Seerosen angekommen, kramte Ravin ein kleines Messer aus
seinem Rucksack und schnitt an einem besonders schönen und großen Exemplar den
langen Stängel ab, der die Blüte an ihrem Platz hielt.
„Bitte einsteigen!“
Während er das Messer wieder verstaute, nahm Lulu in dem
Blumenkelch Platz. Der Mondelf erhob sich lautlos in die Luft und schob Lulu in
der Blüte sachte vor sich her – genau auf das Haus der Moorhexe zu.
„Oh, da hatte wohl noch jemand deine Idee“, bemerkte Lulu. Und
tatsächlich: neben dem Haus lag noch ein Seerosenboot.
„Dann legen wir besser auf der anderen Seite an“, flüsterte
Ravin und bugsierte Lulu in dem kleinen Blütenboot um die Ecke.
Das Haus der Moorhexe stand auf Stelzen und war umgeben von
einem hölzernen Steg. So konnten Lulu und Ravin gefahrlos das ganze Haus
umrunden. Die beiden spähten durch eines der erleuchteten Fenster und Ravin
riss erstaunt die Augen auf. Er musste einen Aufschrei unterdrücken.
Entsetzt sah Lulu ihn an: „Was ist denn los?“
„Ich… ich … kenne den Mann da drin“, stotterte Ravin. „Es ist
der Mondelfenkönig! Was macht der denn hier?“ Ravin konnte es nicht fassen.
„Pssst! Lass uns beobachten, was die beiden vorhaben!“
Gespannt verfolgten sie, wie der Mondelfenkönig ein dunkles Tuch
zur Seite zog und eine große Sonnenkugel auf dem Tisch vor ihm zum Vorschein
kam.
„Aha, dafür hat er wohl das Seerosenboot gebraucht“, sagte
Ravin.
„Könnt ihr denn nicht fliegen, wenn ihr etwas tragt?“ wunderte
sich Lulu.
„Kommt drauf an, wie schwer es ist. Und wie schwer man selbst
ist. Der König ist ja ziemlich beleibt, wie du sehen kannst.“
„Da! Was machen sie denn jetzt?“
Die Moorhexe hatte beschwörend ihre Hände erhoben und murmelte
verschiedene Zaubersprüche über der Sonnenkugel. Diese veränderte daraufhin
nach und nach ihre Farbe und wurde immer dunkler.
„Siehst du das? Der Mondelfenkönig ist schuld daran, dass kein
Sonnenstrahl mehr bis zum Erdboden dringt! Die Moorhexe verzaubert die Sonne und
– da! Der König gibt ihr einen Beutel! Da ist bestimmt Geld drin!“
Lulu war ganz außer sich.
„Das kann ja wohl nicht wahr sein! Für ein bisschen Geld müssen
alle anderen auf das Sonnenlicht verzichten? Oh man, bin ich sauer!“
Beschwichtigend fasste Ravin Lulu am Arm. Da war es
wieder, dieses schöne, warme, kribblige Gefühl. Er hielt kurz inne, konnte aber
nicht darauf eingehen, denn gerade in diesem Moment verließ der Mondelfenkönig
das Haus. Sofort legten sich Lulu und Ravin flach auf den Boden.
„Also dann, bis zum nächsten Mal“, hörten sie eine schleimige
Stimme. Das musste die Moorhexe sein. „Du und dein Geld seid immer herzlich
willkommen, hähä!“
„Auf bald, Moorhexe. Möge die Sonne noch möglichst lange nicht
scheinen!“
Sie warteten, bis der König auf der anderen Seite die Kugel ins
Boot gelegt hatte und sie über den Sumpf zurück zum Ufer schob.
„Hihi, zum Glück weiß dieser dümmliche Mondelfenkönig nicht,
dass es einen Gegenzauber gibt“, sagte die Moorhexe zu der dicken Kröte, die
auf ihrer Schulter saß, während sie verfolgte, wie der Mondelfenkönig langsam
im Zwielicht verschwand.
„Aber er lebt ja unter der Erde. Woher sollte er dann auch von
der Schlucht der Sonnenblüten wissen? Dort können die Blumen so viel
Sonnenschein speichern, dass sie voller Sonnenstaub sind. Diesen über die Kugel
gestreut und oh, oh… vorbei der schöne Zauber – hihihi!“
Kichernd drehte sie sich um und verschwand wieder im
Haus.
„Wir müssen sofort diese Schlucht suchen!“
Ehe er sich versah, war Lulu schon wieder in die Seerose
geklettert und bedeutete Ravin, sie ans Ufer zu schieben. Als sie bereits die
halbe Strecke zurückgelegt hatten, fing es plötzlich an zu regnen. Vereinzelte,
tröpfelige, dann aber schnell dicker werdende Regentropfen prasselten auf Lulu
und Ravin herab.
„Oh nein, auch das noch! Muss es denn ausgerechnet jetzt
an-fangen zu regnen? So ein Pech!“
Ravin überhörte Lulus Gezeter, ihm machte der kleine Schauer
nicht viel aus. Trotzdem beeilte er sich, das Ufer zu erreichen. Dort suchten
sie sich ein großes Blatt, das ihnen Schutz bot und stellten sich unter. Beim
Anblick von Lulu´s Flügeln kam Ravin ein Gedanke.
„He, nutze den Regen doch als Dusche, Lulu! Stell dich mittenrein
und lass ihn deine Flügel sauber waschen!“
„Prima Idee!“
Lulu drehte sich im Regen und ließ den ganzen Modder und Matsch
von ihren Flügeln spülen. Nach kurzer Zeit waren sie wieder sauber.
„Jetzt müssen sie nur noch trocknen“, freute sie sich.
„Dann komm zu mir unter das Blatt!“ Ravin klopfte einladend auf
den Platz neben sich.
„Wenn wir hier schon festsitzen, können wir gleich meinen letzten
Proviant aufessen. Was hältst du davon?“
Ohne Ravins Antwort abzuwarten, leerte Lulu ihre Tasche aus und
teilte das Essen auf.
Dabei bemerkte Ravin, dass sie fröstelte.
„Warte mal, ich habe noch eine Jacke im Rucksack. Die ist
be-stimmt noch nicht nass geworden.“
Glücklicherweise hatte er recht und Ravin legte Lulu die Jacke
um. Dankbar lächelte sie ihn an. Plötzlich bemerkten
beide, wie erschöpft sie waren. So kuschelten sie sich aneinander, genossen die
Wärme, die sie sich gegenseitig spendeten und schliefen ein.
„Bsssssssss….. bsssssssssssss.....“
Ein unangenehmes Geräusch weckte die beiden. Als sie
sich räkelten, landete vor ihnen ein kleiner Moskito.
„Da habt ihr euch aber ein schönes Plätzchen zum
Picknicken ausgesucht“, sirrte er. „Es verirren sich komischerweise nur selten
Besucher in diese herrliche Gegend – was ich gar nicht verstehen kann.
Gestatten, ich bin übrigens Morris, der Moskito. Und wer seid ihr?“
„Mein Name ist Ravin. Ich bin ein Mondelf. Und das
ist Lulu, die Sonnenfee. Wir sind auf der Suche nach dem Sonnenlicht. Du kennst
nicht zufällig die Schlucht der Sonnenblüten?“
„Ja, aber klar! Mein Vetter Son wohnt dort und ab und zu
besu-che ich ihn da. Soll ich euch den Weg zeigen?“
„Würdest du das tun? Das wäre supernett von dir! Haben wir ein
Glück, was Lulu?“
„Das kannst du laut sagen, Ravin! Morris, wann können wir denn
los? Und ist es weit?“
„Nein, nicht sehr und meinetwegen kann es sofort losgehen.“
So packten Lulu und Ravin schnell ihre Sachen ein
und flogen hinter Morris her, der ihre kleine Gruppe anführte.
Nach einiger Zeit ließen die drei den Wald hinter sich und vor
ihnen erhob sich ein gewaltiger Hügel. Es war nicht einfach, dort hinauf zu
fliegen, doch mit letzter Kraft schafften sie es und ließen sich oben auf der
Hügelkuppe nieder. Was sie von hier oben erblickten, war einfach überwältigend
und entschädigte sie für alle Anstrengungen. Tief unter sich sahen sie ein Meer
aus gelben Blüten, umgeben von weiteren Hügeln, die dem ähnelten, auf welchem
sie saßen. Alle Hügel reckten sich hoch in den Himmel hinauf und hielten die
Wolken fern, so dass die Sonne immer auf die Schlucht scheinen konnte.
Normalerweise.
Jetzt war die helle Scheibe am Himmel verdunkelt und hüllte
alles in ein merkwürdiges Licht.
„Im Sonnenlicht sieht die Schlucht noch tausendmal
schöner aus“, bemerkte Morris. „Merkwürdigerweise ist es schon seit einiger
Zeit nicht mehr richtig sonnig. Einige Blumen fangen schon an einzugehen.“
„Deshalb sind wir hier, Morris. Wir wollen das Sonnenlicht
wieder und dafür brauchen wir Sonnenstaub aus diesen Blüten da unten“, erklärte
Lulu.
„Na, da trifft es sich ja gut, dass mein Vetter ein
Schmetterling ist. Er wird euch sicher helfen, an den Blütenstaub zu kommen.
Folgt mir, ich bringe euch zu ihm!“
Und so schwebten sie hinab in die Schlucht der Sonnenblüten.
Ein süßer Duft streichelte ihre Nasen. Erst ganz sanft, aber je
näher sie dem Boden kamen, desto intensiver wurde er. Alle drei atmeten tief
ein und konnten sich kaum satt riechen. Ein wenig benommen landeten sie neben
einer besonders schönen Blüte und wurden sogleich willkommen geheißen.
„Hallo Morris, wen hast du denn da mitgebracht?“ Hinter der
Blume trat ein Schmetterling hervor und musterte Lulu und Ravin interessiert.
„Tja, lieber Vetter, so schnell sieht man sich wieder!“ Freudig
schloss Morris Son in die Arme.
„Die beiden traf ich im Moor und sie fragten mich nach dem Weg
zur Schlucht der Sonnenblüten – und da ich gerade nicht Besseres vorhatte, habe
ich sie hergeführt“, erklärte der Moskito.
„Nun, ich bekomme nicht oft Besuch, deshalb würde es
mich sehr glücklich machen, euch in mein Haus einzuladen. Kommt! Ich habe
gerade frische Blütenpollenkrapfen gemacht. Die wer-den euch nach eurer Reise
sicher gut tun.“
„Vielen Dank, das Angebot nehmen wir gern an!“ sagten Lulu und
Ravin wie aus einem Munde und folgten dem Schmetterling. Unterwegs berichteten
sie ihm von ihrem Vorhaben.
„Klar kann ich euch da helfen!“ versprach Son. „Ich finde es
toll, dass ihr was unternehmt, damit die Sonne wieder richtig scheinen kann.
Gleich morgen früh werde ich euch den schönsten Sonnenblütenstaub sammeln. Aber
jetzt lasst es euch erst einmal schmecken!“
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Hungrig
setzten sie sich an den Tisch in der gemütlichen Küche und aßen mit Genuss die
herrlichen Blütenpollenkrapfen. Nachdem sie alles bis auf den letzten Krümel
verputzt und ihren Durst an wohlschmeckendem Nektar gestillt hatten, meinte
Son: „Der Abend kommt. Am besten sucht ihr euch schnell eine Blüte zum
Schlafen, bevor sie sich alle zur Nacht schließen.“
„Ist gut, dann sehen wir uns morgen! Gute Nacht!“ riefen Lulu
und Ravin und machten sich auf die Suche nach einem Schlafplätzchen.
Ein zarter Windhauch weckte Lulu.
Sie öffnete die Augen und bemerkte, dass sie im Schlaf immer
näher an Ravin heran gerutscht war – wohl wegen der Kälte in der Nacht.
Seufzend drückte sie sich noch einmal an ihn und genoss seine Nähe. Dann fiel
ihr plötzlich siedend heiß ein, weshalb sie eigentlich hier waren: Der Zauber
der Moorhexe… der Blütenstaub…
„Ravin, wach auf!“ Sanft rüttelte sie ihn wach.
„Lulu? Was ist denn los?“ Der Mondelf streckte sich ausgiebig.
„Oh, ich fühle mich wie gerädert. So langsam macht sich mein
fehlender Tagschlaf bemerkbar.“
Verständnislos starrte Lulu ihn an.
Tagschlaf?
Dann wurde ihr klar, was er meinte. Natürlich! Er war ja ein Mondelf
– normalerweise schlief er am Tag!
„Aber…“ begann Lulu.
„Zerbreche dir darüber mal nicht den Kopf“, wich Ravin aus.
„Komm, wir suchen Son!“
Sie erblickten den Schmetterling schon, als sie über den Rand
der Blüte blickten, die ihnen als Nachtlager gedient hatte.
„Guten Morgen, ihr zwei! Na, ausgeschlafen?“ rief er ihnen zu,
während er geschäftig von Blüte zu Blüte flog und deren Staub in einem kleinen
Beutel sammelte.
„Ich bin gleich fertig. Geht doch schon einmal ins Haus, dann
können wir gleich gemeinsam frühstücken!“
Am Tisch trafen sie Morris wieder, der die Nacht im Haus verbracht
hatte. Wenig später gesellte sich auch Son zu ihnen und legte einen
staubglitzernden Beutel auf den Tisch.
„So, das müsste reichen. Ich hoffe, ich kann euch damit helfen,
den Zauber der Moorhexe zu brechen.“
„Bestimmt“, versicherte Lulu und steckte den Beutel in ihre
Tasche. „Vielen Dank für alles, aber jetzt müssen wir weiter.“ Lulu und Ravin
erhoben sich.
„Ich bleibe noch eine Weile hier bei Son“, verkündete Morris.„Findet
ihr den Weg zurück allein?“
„Zum Mondelfenreich? Oh ja, den Weg kenne ich“,
entgegnete Ravin und verließ, gefolgt von Lulu, mit entschlossenem Gesicht das
Haus.
Autorenvita:
Katja Baumgarten ist ausgebildete
Tanzpädagogin, steht aber eigentlich schon immer auf mehreren beruflichen
Standbeinen. Neben Familie mit Mann, zwei Kindern und zwei Katern arbeitet sie
derzeit in einem Fitnessstudio, gibt Ballettunterricht und geht ihrer Passion
nach: dem Schreiben und Illustrieren von Kinderbüchern.
Zur Zeit beschäftigt sie aber noch
ein weiteres Projekt: die Entwicklung eines Fantasy-Jugendromans, der 2016
erscheinen soll.
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