Klappentext:
Es ist Luleas 13. Geburtstag. Ein magischer Tag, gäbe es da nicht ein Problem:
Lulea hat noch keinen tierischen Vertrauten. Ohne diesen Begleiter gibt es
keinen Hexenbesen, so sind die Regeln. Kurzerhand begibt sie sich auf die
Suche, doch die Uhr tickt. Sie muss ihren Vertrauten bis Mitternacht gefunden
haben. Auf ihrer Reise begegnet sie einer gefräßigen Spinne, einem kidnappenden
Feenvolk und einer diebischen Elster, die sich ihr in den Weg stellen. Als wäre
das nicht schlimm genug, läuft sie einer frechen Fee über den Weg, deren
missglückter Zauber die Hexe auf Mäusegröße schrumpfen lässt. Zum Glück gibt es
aber Schru Schru, den besserwisserischen Sperlingskauz, der auf fast alles eine
Antwort weiß. Ob Lulea ihren Vertrauten finden wird?Erhältlich bei Amazon.
Leseprobe
»Heute
ist der letzte Tag meines Lebens!«
Mit
blassem Gesicht schaute Lulea erst ihre Mutter und dann ihre Großmutter an.
Gemeinsam saßen sie am
Frühstückstisch, jeder ein frischgebackenes Kürbisbrötchen auf dem Teller.
»Red
nicht so einen Unsinn. Der Tag ist noch lang und du hast doch bis morgen Zeit«,
antwortete ihre
Mutter,
ohne dabei jedoch ihre Sorgen verbergen zu können.
»Seid
ehrlich, ihr glaubt auch nicht mehr daran, dass mich mein Vertrauter noch
findet. Ich bin eine
Schande
für unsere Familie. Ich schwöre dir, bevor ich morgen ohne Vertrauten und
meinen Besen zu Fuß zur
Schule gehe, schmeiß ich meine Tasche samt aller Schulbücher aus unserer
Baumkrone.«
Luleas
Mutter schüttelte nur den Kopf über den Wutausbruch ihrer Tochter. Wussten sie
doch beide, dass Lulea
erstens viel zu vernünftig war, um so etwas zu tun, zweitens ihre braune
Ledertasche mit langen Fransen
und der bunten Perlenstickerei ihrer Oma über alles liebte und drittens gar
nichts aus der Baumkrone werfen
konnte.
»Du
bist nicht die erste Hexe, die zu ihrem 13. Geburtstag noch keinen Vertrauten
hat. Das kommt immer wieder
vor«, versuchte ihre Großmutter, sie zu beruhigen.
Jetzt
wurde Lulea so richtig wütend. Verstanden die beiden wichtigsten Menschen in
ihrem Leben wirklich nicht,
was es für sie bedeutete, wenn sie heute keinen Vertrauten fand? Sie würde
morgen das Gespött ihrer Schulklasse
sein. Bestimmt hatte man Wetten darauf abgeschlossen, ob sie mit Vertrautem
oder ohne zur Schule
kommen würde. Als wäre es nicht schlimm genug, als älteste Schülerin der Klasse
und einzige Hexe sowieso,
der Sonderling der gesamten Schule zu sein. Nein, sie musste dann auch noch die
Hexe sein, die mit
dreizehn Jahren noch immer nicht fliegen durfte. Alle anderen Hexen, die Lulea
kannte, hatten schon viel früher
Ihren Vertrauten getroffen und waren, sobald sie ihren Besen und damit die
Erlaubnis zum Zaubern erhalten
hatten, mit ihrer Familie in die Hauptstadt gezogen. Das tat man als Hexe, weil
es dort die einzige Hexenschule
gab. Nur sie hing nach wie vor in diesem öden Wald mit ihrer Familie fest und
ging mit Kobolden,
Nymphen und Mischwesen in eine Klasse.
»Vielleicht
bist du einfach noch nicht so weit. Dein Vertrauter kommt zu dir, wenn er eben
kommt. Das kann
man nicht erzwingen.«
Außer
sich sprang Lulea vom Frühstückstisch auf. Ihre roten Locken schienen Funken zu
sprühen. Zum Glück
waren Tisch und Stühle fest mit dem Baum verwachsen, in dem sie lebten, sonst wäre
garantiert etwas umgefallen.
Immer wieder wechselte ihr Blick zwischen ihrer Mutter und ihrer Großmutter hin
und her. Das konnten
sie nicht wirklich so meinen. Aber sie blickten sie an, als wäre alles in
bester Ordnung. Frustriert schrie
sie auf und schmiss dabei die Arme in die Höhe. Sie brauchte frische Luft!
Lulea stürmte aus der Küche
und dann weiter nach draußen. Die mitleidigen Blicke ihrer Familie folgten ihr.
Bunte
Lichter tanzten vor Luleas Augen und ihr Herz raste in der Brust. »Keine Panik,
nur keine Panik!«, versuchte
sie, sich selber zu beruhigen. Tief atmete sie die klare Luft ein und wartete,
bis die bunten Lichter wieder
verschwanden. »Noch nicht so weit? Pah, wenn ihr wüsstet. Bereiter geht es
nicht. Ihr werdet euch noch
wundern. Man kann seinen Vertrauten vielleicht nicht herbeizwingen, aber man
kann zumindest nach ihm
suchen und genau das werde ich jetzt tun. Wenn er irgendwo da draußen ist, dann
werde ich ihn finden!«
Damit
stapfte Lulea entschlossen los und war bald darauf im Wald verschwunden.
Lulea
wusste nicht, wie weit sie bereits in den Wald hineingegangen war, als sich
ihre Wut endlich legte und der
Verstand wieder einsetzte. Es brachte nichts, aufs Geratewohl draufloszurennen.
Der Wunschelwald war so
groß, dass sie nur einen kleinen Teil von ihm kannte und einen noch winzigeren
an einem Tag absuchen konnte.
Angestrengt kramte sie in ihren Erinnerungen. Was wusste sie alles über den
Vertrauten einer Hexe?
Der
Vertraute einer Hexe war zumeist ein Tierkind, welches freiwillig eine magische
Bindung mit einer Hexe
einging. Meistens bis zum dreizehnten Lebensjahr der Hexe, selten später. Sie hörte
die Stimme ihrer Mutter
in ihrem Kopf, die ihr das immer und immer wieder erzählt hatte.
Oft
war das Zusammentreffen zwischen Vertrautem und Hexe zufällig. Beiden wurde
aber sofort klar, dass sie
zusammengehörten. In der ersten Zeit konnten sich Hexe und Vertrauter durch
ihre Gedanken
verständigen.
Bei den meisten Verbindungen legte sich dieser Austausch irgendwann, nur selten
hatte man von
einer Hexe gehört, bei der er bestehen blieb. Die Hexen gingen davon aus, dass
der Gedankenaustausch die
Eingewöhnungsphase dieser besonderen Bindung vereinfachen sollte. Lulea wollte
sich gar nicht vorstellen,
wie es sein würde, wenn jemand alles hörte, was sie dachte. Echt gruselig, aber
auch das würde sie
in Kauf nehmen, um endlich ihren Besen zu erhalten. Wie sollten ihr diese
Informationen aber nun helfen,
ihren Vertrauten zu finden? Ein Tierkind also. Was passierte aber mit einer
Hexe, deren Vertrauter starb?
Tierkinder konnten gefressen werden, oder etwa nicht? Angst machte sich in
Lulea breit. Was war, wenn
ihr Vertrauter nicht mehr lebte? Wurde dann ein anderes Tier zu ihrem
Vertrauten oder würde sie niemals
einen bekommen? Nein, daran durfte sie gar nicht denken, das konnte nicht sein.
»Okay,
wo hast du in letzter Zeit Tierkinder gesehen?«, fragte sich die kleine Hexe
und dachte dabei so angestrengt
nach, dass sich auf der Stirn Falten bildeten und sich der Nasenrücken krauste.
Sie hätte mehr darauf
achten müssen, ihr wollte einfach nichts einfallen. Außer …, nein, das konnte
nicht sein. Aber einen Versuch
war es wert.
Kurze
Zeit später stand Lulea am Fuße einer alten, halbtoten Kiefer. Unschlüssig
schaute sie den Baum hinauf.
Ein Mal war sie bisher über einen Nachbarbaum in die Krone dieser Kiefer
geklettert. Ein halsbrecherisches
Unterfangen, wie sie sich im Nachhinein eingestand. Sie hatte aber unbedingt
einen Blick auf
die jungen Eulen werfen wollen, die dort in einer kleinen Höhle lebten. Wie
hatte sie die Zwei entdecken können?
Sie waren nicht zu überhören gewesen. Das ständige Gezeter hatte Lulea bereits
aus der Ferne vernommen.
Ob sie die beiden kleinen Federkugeln dort immer noch finden würde? Und konnte
einer der Winzlinge
ihr Vertrauter sein? Beim letzten Mal hatte der etwas größere ihr schmerzhaft
in den Zeigefinger gebissen,
als sie ihn streicheln wollte. Vielleicht hatten sie aber einfach nur einen
schlechten Start gehabt. Sie musste
es nochmal versuchen.
Prüfend
schaute Lulea am Stamm hinauf. Hätte sie doch bloß schon ihren Besen, dann könnte
sie ganz einfach
hinauffliegen. Dann würde sie aber jetzt auch hier nicht stehen.
»Die
Äste sind einfach zu hoch. Keine Chance«, murmelte die Hexe leise vor sich hin.
Das Mit-sichselber-Reden
half ihr oft, sich zu konzentrieren. Erneut würde sie es über den Nachbarbaum
versuchen.
Prüfend
zog sie am untersten Ast, ob er ihr Gewicht halten würde. Mit ihren Lieblingsstiefeln
versuchte sie, am
Stamm den bestmöglichen Halt zu finden, dann ging es hinauf. Kaum,
dass Lulea vom ersten Ast hinabschaute, spürte sie das Adrenalin, welches durch
ihre Adern schoss.
Sie liebte die Höhe, sie liebte das Abenteuer.
»Ha!«,
entfuhr es ihr vor lauter Freude. Der schlechte Start in den Tag war vergessen.
Je höher sie
kletterte,
umso glücklicher fühlte sich Lulea. Bald hatte sie die Höhe des Vogelnestes
erreicht. Jetzt nur noch den
Baum wechseln, dann war es geschafft. Langsam, Schritt für Schritt, tastete sie
sich auf dem Ast vorwärts,
auf dem sie stand. Mit den Händen hielt sie sich an einem über ihr hängenden
Ast fest. Kurz hielt die
Hexe inne, als sich unter ihren Füßen das Holz zu neigen begann. Es waren nur
noch wenige Schritte bis zu
ihrem Ziel.
»Bitte
halt mich, bitte! Nur noch ein Stückchen.«
Ein
Knacken ertönte. Erschrocken schaute Lulea zurück. Die plötzliche Bewegung
brachte sie aus dem Gleichgewicht
und die Hexe drohte abzustürzen. Jetzt gab es nur noch den Weg vorwärts.
»Ich
schaff das!«, machte sie sich Mut. Beim nächsten Knacken drückte sie sich mit
beiden Beinen ab und sprang
mit aller Kraft vom schwankenden Ast hinüber in die Kiefer.
Die
spitzen Kiefernadeln zerkratzten ihr Gesicht, Arme und Beine, als sie verzweifelt
versuchte, Halt zu finden.
Vom ersten Ast rutschten ihre Hände ab. Unsanft landete sie mit ihrem Po auf
dem darunterliegenden und
konnte diesen mit ihren Armen umschlingen. Luleas Herzschlag trommelte ihr in
den Ohren. Die Kratzer auf
ihrer Haut brannten und beim Blick in die Tiefe begann sich die Welt zu drehen.
»Das
war echt knapp.« Erschöpft ließ Lulea ihren Kopf auf dem Ast ruhen, bis sich
ihr Puls wieder
beruhigt
hatte. Hoffentlich würde sich diese Aktion wenigstens lohnen. Da fiel der Hexe
plötzlich auf, dass von
oben aus dem Baum gar kein Gezeter mehr zu hören war. Langsam richtete sie sich
auf und ließ ihren Blick
nach oben wandern. Konnte das sein? Sie würde darauf wetten, dass sie von zwei
dunklen, glänzenden Augenpaaren
beobachtet wurde.
»Ihr
braucht gar nicht so zu gucken. Ihr habt immerhin Flügel«. Bestimmt lachen sich
die beiden über
mich
kaputt, dachte Lulea und machte sich an die nächste Etappe ihres Aufstiegs. Erschöpft,
zerzaust und mit Harz in ihren roten Locken kam Lulea an der kleinen Höhle im
Baumstamm an.
Die
Eulen hatten sich ins Innere verzogen. Wie sollte sie nun vorgehen? Genau hier
hatte sie ja vor einiger Zeit
schon einmal gesessen und das hatte schmerzhaft geendet.
»Hallo
ihr beiden. Ich heiße Lulea. Nun ja, ich bin eine Hexe und suche nach meinem
Vertrauten.«
Irgendwie
kam sie sich dabei ziemlich blöd vor. Hier saß sie vor einem Loch im Baum, in
dem sich zwei Eulen
versteckten, und versuchte, mit denen zu reden. Dazu musste man echt
verzweifelt sein. Aber wenn einer
der beiden ihr Vertrauter war, dann müsste er sie doch verstehen, oder?
»Wollt
ihr denn nicht mal rauskommen? Ich tue euch auch nichts. Versprochen!« Lulea
wartete. Keine Eule
ließ sich blicken.
Vielleicht
müssen sie sich ja erst an mich gewöhnen? Still blieb die Hexe auf dem Ast
hocken und wartete darauf,
dass sich eines der Eulenkinder sehen ließ. Was, wenn ihre Mutter zurückkam?
Lieber gar nicht erst dran
denken. Langsam begann Luleas Hintern zu schmerzen. Möglichst leise veränderte
sie ihre Position.
Die
junge Hexe wusste nicht, wie lange sie bereits gewartet hatte, als am Fuß des
Baumes ein verstimmtes »Miauuuuttttzzz«
zu hören war. So miaute nur der kratzbürstige Kater ihrer Mutter. Für Lulea
klang das immer
so, als würde Beißer, wie der Kater hieß, zum Schluss noch durch seine Zähne
zischen, damit er sich möglichst
böse anhörte. Der schon leicht angegraute Vierbeiner ihrer Mutter hatte diesen
Namen wirklich verdient.
Lulea wusste nicht, wie oft er sie schon gebissen hatte, nur, weil sie ihm
vielleicht etwas zu nahe gekommen
war. Wie konnte ihre stille, gutmütige Mutter an so ein Mistvieh geraten? Lulea
war es unerklärlich.
Okay, ihre Großmutter hatte ihr einmal erzählt, dass ihre Mutter in jungen
Jahren ein genauso aufbrausender
Wildfang gewesen war wie Lulea. Irgendwann musste sich dies aber ins Gegenteil
verkehrt haben,
nur der Kater hatte von dieser Veränderung nichts abbekommen.
Prüfend
schaute sie in den Himmel. Die Sonne stand schon tief. Kein Wunder, dass ihr
der Hintern so weh tat.
Sie musste bereits seit Stunden auf diesem Ast sitzen. Jetzt blieb ihr nichts
anderes übrig, als alles auf eine
Karte zu setzen. Vorsichtig kroch sie auf dem Ast vorwärts, bis sie direkt vor
der Höhle saß.
Angestrengt
versuchte Lulea, in dem dunklen Loch etwas zu erkennen. Näher und immer näher
kam sie, als
plötzlich ein gefiederter Teufel laut zeternd aus der Öffnung geschossen kam
und mit seinem Schnabel nach
Luleas Nase schnappte.
»Heyyyy
…, ahh …, autsch!«, war das Einzige, was sie von sich gab, bis die Hexe unsanft
mit dem Popo auf
einem Haufen alter Kiefernadeln landete.
Stöhnend
stand Lulea auf und rieb sich ihre Kehrseite. Überall in ihren Kleidern und in
ihren Locken
hingen
trockene Kiefernadeln. Als würden das und die blauen Flecke, die sie morgen mit
Garantie haben würde,
noch nicht ausreichen, bohrte sich der vorwurfsvolle, ja eher schon tadelnde
Blick von Beißer in ihren
Rücken. Hoffentlich erzählte er ihrer Mutter nicht, was hier passiert war. Groß
war ihre Hoffnung auf das
Stillschweigen des Katers jedoch nicht. Was aber noch viel schlimmer war: Die
Tatsache, dass der Tag fast
vorbei war und sie immer noch keinen Vertrauten hatte.
Der
Rückweg dauerte gefühlt bestimmt doppelt so lange, wie Lulea zu den Eulen hin
gebraucht hatte. Ihr Hintern
schmerzte und genervt zupfte sie sich Harz und Nadeln aus den Haaren, wobei
einige rote Strähnen mit
dranglauben mussten. Irgendwann erreichte Lulea dann aber doch die ihr
wohlbekannte Lichtung. Einem Wanderer,
der zufällig auf diesen Lichtfleck im Wald traf, sollte bei einer oberflächlichen
Betrachtung nichts Außergewöhnliches
auffallen. Lulea fielen die Besonderheiten aber sofort ins Auge. Am Waldrand
blieb sie stehen
und betrachtete ihr Zuhause. Der kreisrunde Rand der Lichtung war viel zu ebenmäßig,
als dass er eine
natürliche Herkunft haben könnte. Die Lichtung selber war mit saftig grünem
Gras bewachsen und wurde
durch keinen herumliegenden Ast oder struppigen Busch in seiner Schönheit gestört.
Exakt in der Mitte
befand sich ein Kreis aus kleinen roten Pilzen, der ein großes Geheimnis barg.
Jedes Mal, wenn Lulea an
die Kraft des Zaubers dachte, der hier herrschte, überkam sie pure Ehrfurcht.
Langsam näherte sie sich dem
Pilzkreis. Deutlich hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die nach ihr rief.
»Lulea,
trödel nicht so rum. Komm endlich Abendbrot essen, sonst verfüttere ich es
genauso wie dein
Mittagessen
an das Schrubbel«.
Mit
einem »Miaaauuutttzzz«, was so viel hieß wie »Beeil dich endlich!«, verschwand
Beißer im Pilzkreis.
Prüfend
strich die junge Hexe über ihre Kleidung. Im Rock klaffte ein langer Riss, den
sie sich bei ihrem Absturz
zugezogen hatte. Lulea hoffte, ihn durch die vielen Falten im Stoff vor den
Blicken ihrer Mutter und ihrer
Großmutter verbergen zu können. Das Harz an ihren Fingern konnte von allem möglichen
stammen.
Die
restlichen verklebten Stellen in ihren Locken würde sie rausschneiden müssen,
da half sonst nichts. Die Kiefernadeln
hatte sie, so gut es ging, aus Kleidung und Haaren entfernt. Jetzt musste sie
nur noch das Abendbrot
überstehen.
Tief
holte Lulea Luft und trat durch den Pilzkreis. Kurz schien die Welt sich zu
strecken und zu dehnen, dann
stand die Hexe auf einer drei Mal so großen, mit Gras und kleinen Blümchen
bewachsenen Lichtung, in deren
Mitte ein riesengroßer, jedoch schief und krumm gewachsener Baum stand. Das war
ihr Baumstammhaus,
in dem sie, so lange sich die junge Hexe erinnern konnte, mit ihrer Mutter und
ihrer Großmutter
lebte. Der Zauber, der von ihrem Vater stammte, sollte sie vor neugierigen
Blicken verbergen.
Das
er von ihm stammte, war so gut wie alles, was sie über ihn wusste. Ein Thema,
welches in ihrer Familie regelrecht
totgeschwiegen wurde. Lulea war sich sicher, dass er noch lebte, irgendwo, und
sie würde ihn finden!
Wenn sie denn endlich ihren Besen bekam.
Lulea
rechnete damit, dass man bei ihrem Eintreten ganz schnell alle
Geburtstagsvorbereitungen samt ihren Geschenken
verschwinden lassen würde. So war es in den letzten Jahren immer gewesen und
bis jetzt hatte diese
Heimlichtuerei ein gespanntes Prickeln bei der Hexe verursacht. Womit sie
jedoch nicht gerechnet hatte,
war das absolut normale Bild, das sich ihr bot, als sie in die Küche trat.
Keine Geschenke, keine Dekorationen,
die aus Schubladen herausblitzten, absolut nichts außer einem gedeckten
Abendbrottisch.
Lulea
versuchte, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, doch im Magen
bildete sich ein
unangenehmer
Knoten, der ihr die Kehle hochzuwandern schien. Bloß nicht weinen, ermahnte
sich die Hexe. Tapfer
durchquerte sie den kleinen Raum und versuchte, die verräterischen Tränen in
Schach zu halten.
Sie
liebte ihr Zuhause. Die Möbel, die direkt aus dem magischen Holz des Baumes
gewachsen waren.
Kein
Stuhl sah aus wie der andere und die Schränke, Tische und alles, was eben sonst
noch so herumstand, veränderten
ihre Form je nach Bedarf oder Laune des Hexenbaums. Das ganze Jahr über
herrschte im Inneren
ein angenehmes Klima und im Frühling und Sommer sprossen aus allerlei Ritzen
junge Triebe und grüne
Blätter, die man immer wieder zurückschneiden musste, damit nicht der ganze Wohnraum
zuwucherte. Hier
fühlte sie sich geborgen und daheim und doch wollte sie nichts sehnlicher, als
endlich ihr Zuhause zu verlassen.
»Mach
nicht so ein griesgrämiges Gesicht, setz dich und iss endlich was.«
Sie
sollte etwas essen? Lulea glaubte, sich verhört zu haben. Für sie schien jeden
Moment die Welt
unterzugehen
und hier herrschte absolute Normalität. Wie immer wartete ein heißer Bottich
Kakao auf sie und
frischgebackenes Brot. Wie konnten sich alle nur so normal aufführen, während für
sie alles in die Brüche
ging. Ihr Vertrauter, ihr Besen, der Umzug in die Hauptstadt. Dort wollte sie
alles lernen, was man als Hexe
wissen musste und was sie brauchte, um ihren Vater zu finden. Sie wollte hinaus
aus diesem langweiligen
Wald. Sie hatte so viele Fragen, die ihr hier niemand beantworten wollte. Aber
ihr Vater würde ihr
bestimmt sagen, wieso keiner über ihn sprach. Warum sie noch nicht einmal
seinen Namen wusste.
Vielleicht
war ihre Mutter ja so still, weil er sie verlassen hatte? Aber weshalb? Und das
war ja kein Grund, den
Kontakt zu ihr abzubrechen. Wusste er überhaupt, dass er eine Tochter hatte?
Ohne Besen würde sie ihn das
alles aber nie fragen können.
Erneut
fühlte Lulea, wie sich die altbekannte Frustration in ihr regte, die viel zu
leicht in Wut umschlug. »Wie
könnt ihr hier so ruhig sitzen und so tun, als wäre alles in Ordnung?«
»Schatz,
was würde es denn helfen, wenn wir uns verrückt machen? Dein Geburtstag ist
doch erst
morgen«,
antwortete ihre Mutter, während sie scheinbar ganz entspannt eine Tasse Tee zum
Mund führte.
Was
Lulea in ihrer Rage nicht auffiel, war das leichte Zittern der Tasse und der
Tee, der über den Rand schwappte.
»Erst
morgen? Seid ihr denn verrückt?«
Lulea
wollte noch mehr sagen, doch da ging ihre Großmutter dazwischen. »Sprich nicht
in diesem Ton mit uns,
junges Fräulein. Setz dich und trink erst einmal deinen Kakao. Danach geht es
dir bestimmt besser.«
»Mir
wird es nie wieder besser gehen!« Damit stürmte Lulea aus der Küche. Tränen der
Wut
verschleierten
ihren Blick. Keiner verstand sie. Nein, man wollte einfach nicht verstehen, was
es für sie bedeutete,
morgen noch immer keinen Vertrauten zu haben.«
»Quaaaarrrggg!«
Erschrocken machte Lulea einen Hüpfer zur Seite. Fast wäre sie auf die fette Kröte
ihrer Großmutter
getreten. Normalerweise versteckte sich diese wirklich hässliche Amphibie vor
ihr, seit sie als Kind
einmal auf sie draufgetreten war. Es war ein Versehen gewesen, aber so recht
hatte ihr das niemand glauben
wollen. Seitdem hatten Flutsch und sie ein eher distanziertes Verhältnis
zueinander. Nun schaute sie die
Kröte mit ihren dunklen, feuchten Augen mitleidig an. Vielleicht verstand ja
doch jemand, wie sich die junge
Hexe fühlte. Das half ihr bei ihrer Misere aber auch nicht weiter. Trotzig
wischte Lulea ihre Tränen weg
und stampfte die gewundenen Stufen in die erste Etage des Baumstammhauses
hinauf.
Die
Treppe wand sich um den Baumstamm herum, wobei die eine Seite durch den Stamm
eine
geschlossene
Wand mit vielen Nischen bildete, die hauptsächlich mit Büchern vollgestellt
waren, und die andere
Seite war durchbrochen, um Licht in das Baumstammhaus zu lassen. Hier wucherten
derzeit saftig grüne
Blätter herein. Im Winter wuchs eine hauchdünne Rinde, um die Bewohner vor Kälte,
Regen und Schnee
zu schützen. Das Haus war der Wahnsinn, dabei war es ein alter Hexenbaum, nicht
zu vergleichen mit
denen in der Hauptstadt. Wie musste es sein, in einem dieser hochmodernen, mit
den neuesten Zaubern ausgestatteten
Bäumen zu leben? Ob Sie genauso gemütlich waren? Irgendwie bezweifelte Lulea
das. In ihre Überlegungen
versunken, durchquerte Lulea den kleinen Wohnbereich im ersten Stock, ging
vorbei an den Zimmern
ihrer Mutter und ihrer Großmutter, die sich auf einem schmalen Flur gegenüberlagen.
An dessen Ende
führte eine steile Freilufttreppe zu einer Aussichtsplattform. Hier war ein Ast
so in die Breite gewachsen,
dass sich eine Art Balkon bildete, von dem wiederum eine Hängeleiter in die
Krone des Baumes
führte.
Dort lag Luleas Reich. Geschützt von derselben Magie, die den Baum auch vor
neugierigen Blicken verbarg.
Wie ein unsichtbares Schutzschild hielt diese Kraft unerwünschtes Wetter und Kälte
draußen und verhinderte
andererseits, dass die junge Hexe oder etwas anderes versehentlich abstürzte.
Soviel zu ihrem Vorhaben,
ihre Schultasche aus dem Baum zu werfen. Sie wäre wie ein Flummi zurückgeprallt
und dabei Lulea
wahrscheinlich noch um die Ohren geflogen. Woher sie das wusste? Kindlicher
Leichtmut hatte sie einst
zu einem Experiment mit dem Schrubbel getrieben. Das Ergebnis? Eine Woche lang
ein blaues Auge samt
Stubenarrest für diese Dummheit und dafür, dass sie fast eine Erfindung ihrer
Mutter zerstört hätte.
Behände
hangelte sich Lulea die Leiter hinauf. Ihr Leben lang hatten sich die Abstände
der Sprossen ihrer Körpergröße
angepasst und die Hexe bewunderte immer wieder aufs Neue das Geflecht aus dünnen,
in sich verflochtenen
Ästen, welche die Hängeleiter bildeten. Endlich setzte sie den Fuß auf festes
Holz und war in der
Baumkrone angekommen. Ein runder astfreier Platz bildete ihr Zimmer und die
rundherum wachsenden Äste
verdichteten sich zu einem kuppelförmigen Dach. Tagsüber konnte Lulea durch die
vielen Löcher in der Astdecke
schauen. Wenn sie nachdachte, beobachtete sie dabei gerne den Lauf der Sonne
und die über den Himmel
treibenden Wolken. In der Nacht zählte sie die Sterne oder teilte ihre Gedanken
mit dem Mond, der so
still auf sie herabsah. Normalerweise fiel es ihr ausgesprochen schwer, in
ihrem Reich schlechte Laune beizubehalten.
Heute war aber alles anders. Auch die atemberaubende Aussicht konnte ihre Wut
und Verzweiflung
nicht mindern. Ohne einen Blick auf den rot und golden strahlenden
Sonnenuntergang warf sie sich
auf ihr Bett. Oft landete sie dabei in einem Berg aus Laub oder Schlimmerem.
Der Hexenbaum schien sich
regelrecht einen Spaß daraus zu machen, sie zu necken. Womit sollte sich ein
Baum, der für alle Zeit am
selben
Ort stand, auch sonst befassen, um sich die Zeit zu vertreiben. Dieses Mal
sprang ihr aber kein
erschrockenes
Eichhörnchen entgegen und nur wenige Blätter hatten sich auf ihre Decke und das
Kissen verirrt.
Auch der Baum schien zu merken, dass die junge Hexe nicht zum Spaßen aufgelegt
war. Frustriert schlug
Lulea immer und immer wieder so auf ihr Kopfkissen ein, dass die Blätter vor
Angst an den Ästen raschelten.
Das Kissen konnte nun wirklich nichts für Lulea Lage. An irgendetwas musste sie
aber ihre Wut auslassen,
sonst würde sie platzen. Auf Wut folgte dann die Verzweiflung. Nach den Schlägen
saugte das Kissen
nun die Tränen der Hexe auf und dämpfte ihr Schluchzen.
Ein
leises Surren erklang über Luleas Kopf. Die Quelle war ein sanft vibrierender
Ast, aus dem im
nächsten
Moment die Stimme ihrer Mutter ertönte.
»Schatz,
möchtest du nicht noch mal runterkommen? Ich habe eine neue Erfindung, die ich
dir gerne
zeigen
würde. Lu?«
Lulea
hörte ihre Mutter nicht mehr, sie war bereits erschöpft auf ihrem nassen Kissen
eingeschlafen.
Vita + Homepage:
Felizitas Montforts wurde im Februar 1983 geboren. Als Kind entdeckte sie zeitgleich ihre Begeisterung für das Lesen wie auch für das Schreiben. Heute lebt sie mit ihrem Mann, ihren Zwillingen und einer sehr anhänglichen Katze in Viersen am Niederrhein. In ihrer Freizeit widmet sie sich dem Schreiben und ihrem Food-Blog.
Felizitas Montforts wurde im Februar 1983 geboren. Als Kind entdeckte sie zeitgleich ihre Begeisterung für das Lesen wie auch für das Schreiben. Heute lebt sie mit ihrem Mann, ihren Zwillingen und einer sehr anhänglichen Katze in Viersen am Niederrhein. In ihrer Freizeit widmet sie sich dem Schreiben und ihrem Food-Blog.
Weitere Informationen finden Sie auf Facebook, Google+
und ihrer Autorenseite.
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