Als Anna mit ihren Eltern in eine neue
Wohnung zieht, ist sie sehr glücklich über die Gesellschaft der Regenbogenfee,
ihrer Beschützerin aus dem verborgenen Königreich. Fasziniert ist das Mädchen
von dem großen Ahorn vor ihrem Fenster. Schnell schließt Anna Freundschaft mit
dem guten Geist des Baumes. Immer wieder reist sie mit ihren Freunden in die
Welt der Feen und Naturgeister. Die Kinder reiten auf einem sprechenden Delfin,
besuchen die geheimnisvolle Sybilla im magischen Efeuwald und erleben viele weitere
aufregende Abenteuer. Eine besondere Ehre wird Anna und ihrem Freund Juan
zuteil, als beide am großen Novemberfeuer teilnehmen dürfen. Bei diesem Fest
übergibt die Elfenkönigin das Jahreszepter an die weiseste der Hexen. Bei den
Aufenthalten im verborgenen Königreich wird Anna und ihren Freunden so manches
Lebensgeheimnis offenbart. Immer wieder geht es um die Bedeutung von
Freundschaft, um Freiheit und Verantwortung. Die Dinge ändern sich, die Kinder
werden älter. Was sie verlieren, ist die Fähigkeit, Feen und gute Geister zu
sehen. Was aber bleibt, sind glückliche Erinnerungen und ein tiefes Wissen um
die Zusammenhänge des Lebens. Tröstlich ist die Zusage, dass es im Traum immer
einen Weg ins verborgene Königreich gibt.
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Das
verborgene Königreich
Das Gesicht zeichnete sich etwa in der Mitte des
Baumes ab. Die Rinde wölbte und verzog sich, bis schließlich schmale
Gesichtszüge, umgeben von halblangen Haaren deutlich hervor traten. Hals und
Schultern bildeten sich. Die Arme waren hinter dem Rücken verborgen. Es sah so
aus, als hielte der Baumgeist – und es gab keinen Zweifel, dass es sich um
einen solchen handelte - die Arme hinter dem Rücken verschränkt oder als wäre
er mit Handschellen gefesselt. Weiter unten waren der schlanke Leib und dann die
langen Beine nur ganz vage zu erkennen. Anna wusste, dass Baumgeister aus ihren
Bäumen heraustreten und die Größe von Erwachsenen annehmen können. Dann hatten
sie auch richtige Gesichter und Körper, allerdings feiner und heller als die
von Menschen.
Wie alle kleinen Kinder war sich Anna darüber im
Klaren, dass die verschiedenen Wesen des Feenreiches oder des verborgenen
Königreiches, wie manche es nennen, für die Menschen sehr wichtig sind. Sie
sorgen dafür, dass es Jahreszeiten gibt, dass die Sonne scheint, dass es regnet
und schneit. Außerdem kümmern sie sich um das Wachsen und Gedeihen der Pflanzen
und Tiere. Sie verbreiten gute Laune, spenden Trost, gewähren Schutz und sie
flüstern den Menschen von den Geheimnissen der Welt.
Der Ahorngeist lächelte. Zwei kecke Amseln hüpften im
Baum hin und her und riefen: "Hallo Menschenkind. Willkommen,
willkommen!"
Obwohl es gerade windstill war, bewegten sich einige
Zweige. Unter den raschelnden Blättern erblickte Anna hellgelbe Funken. Bei
genauerem Hinsehen erkannte sie winzige, sehr anmutige und fast durchsichtige
Blumenfeen, die nicht mehr über viel Kraft verfügten, weil der Herbst nahte.
Aus den Augenwinkeln sah sie auch, dass die kleine Regenbogenfee links von ihr
auf dem Balkongeländer saß und die Beine baumeln ließ. In der Sonne schillerte
sie weiß und rosa. Sie schien diesen Ort zu mögen, denn sie lachte. Ihr Lachen
erinnerte an das Klingeln sehr zarter Glöckchen.
"Ja, ja", sagte die Fee, " hier ist es
nett, schön frei und luftig."
"Ein wenig hatte ich Bedenken, dass du nicht
mitkommen würdest", entgegnete Anna, bereute ihre Worte aber sofort, weil
die Fee daraufhin vor Ärger ganz grau wurde.
"Weißt du denn nicht, dass es meine Aufgabe ist,
dich zu beschützen. Wo du hingehst, ist ganz gleichgültig", schimpfte sie.
Dann rümpfte sie die Nase und schaute in eine andere
Richtung. Betreten folgte Anna ihrem Blick, weil ihr nichts Besseres einfiel.
So betrachteten die beiden eine Stelle des Gartens, wo vor kurzem Erde
umgegraben worden war. Dort saßen zwei Gnome, - manche nennen sie auch Wichtel
-, etwa so groß wie Kasperlepuppen in
braunen Umhängen und mit breiten, grünen Hüten.
"Ja, ja", mischten sie sich ein. Ihre
Stimmen klangen ein ganz klein wenig so, als würde jemand Schlamm gegen eine
Mauer werfen. "die geschätzten Feen des Luftreiches sind leicht
eingeschnappt."
Hoheitsvoll rümpfte die Regenbogenfee ihre Nase.
"Ich bin zu intelligent, um mich auf dieses
Gespräch einzulassen", hauchte sie, ohne wirklich verärgert zu sein. Sie
tat eher so, als wäre sie es, denn die Wesen des Feenreiches haben Sinn für
Humor. Die Gnome und die Amseln lachten, die kleine Fee lächelte und schaute
sie wieder an.
"Ja, ja", bemerkte ein Gnom gut gelaunt,
"hier ist ein feiner, ruhiger Platz für uns. Es gibt viele Kinder, ein
paar Hunde und Katzen und sogar einige Erwachsene, die gerne ein wenig träumen,
wenn sie ins Grüne schauen. Die Menschen hier mögen ihre Pflanzen und pflegen
sie liebevoll. Nur leider wird der Rasen zu oft gemäht und die Sträucher werden
ständig nachgeschnitten."
Alle nickten, Anna eingeschlossen. Ausgerechnet in
diesem Moment erscholl aus einem der Nachbargärten das Geräusch eines
Rasenmähers. Die Fee, die Gnome und die Vögel sahen Anna mit großen Augen an
und nickten nachdrücklich, gerade so, als wollten sie sagen „siehst du!“ Anna
war das sehr peinlich, aber sie ärgerte sich auch. Schließlich mähte sie den
Rasen ja nicht.
Kurzvita
Carolin Olivares Canas ist Kultur- und
Bibliothekswissenschaftlerin. Nach wissenschaftlicher Tätigkeit mit Forschungsaufenthalten
in Namibia war sie in der Familienbildung, in Schulen und einer
Grundschulbücherei beschäftigt. Für ihre Workshops für Grundschulkinder zu
unterschiedlichen Themen schrieb sie die erforderlichen Geschichten selbst. Seit
2011 arbeitet sie als selbstständige Antiquarin mit den Schwerpunkten
Kinderbuch und Kulturgeschichte. "Anna im verborgenen Königreich" ist
ihr erstes Kinderbuch.
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