Leseproben für kleine Schmökerratten
- Kinderbücher von Indie-Autoren

Dienstag, 15. August 2017

Der Karatehamster sattelt um von Tina Zang



Kurzbeschreibung:

Neo ist fassungslos. Sein Lieblingsmensch Jan verbringt die Herbstferien auf einem Reiterhof, wo er Westernreiten lernt. Ohne Neo!

Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Huhn: Ein Reithuhn für den Karatehamster. Die superschlaue rechnende Henne Henriette vom Gnadenhof Flinke Pfoten eignet sich dafür ganz wunderbar. Allerdings ist das schöne Tier in großer Gefahr, da ihre Besitzerin Laura erpresst wird. Schaffen es Kira und die flauschigen Helden Neo, Lee und Chan, diesen Fall ohne Jans Hilfe zu lösen?

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Leseprobe

Kapitel 1

Was für ein grässlicher Nachmittag. Unsere Besitzerin Kira saß an ihrem Schreibtisch, machte Hausaufgaben und litt dabei offensichtlich Höllenqualen, denn sie jammerte fast unentwegt.
»Grausame Grammatikregeln!«, keuchte sie. »Wieso reicht es nicht, eine Sprache zu sprechen? Muss man sie auch noch zerpflücken?« Und später: »Bäh, ich hasse diese strunzblöden binomischen Formeln.«
Auch ich litt entsetzlich, und dazu brauchte ich weder Grammatik noch strunzblöde Formeln. Ich hockte auf der oberen Etage des Hamsteraquariums und war nur ein Schatten meiner selbst.
In unserem Hamsteraquarium ist übrigens kein Wasser drin, wir sind ja keine Blubberfische. In unserem Aquarium findet man Einstreu, zwei Schlafhäuser, ein Laufrad, eine Wippe, eine Rutsche, eine digitale Briefwaage, einen Wackelbuddha, ein mit Gel gefülltes Polster, drei Wellensittichspiegel, ein Kletternetz und drei Hamster. Zwei der Hamster waren an diesem Nachmittag quietschfidel, einer war völlig mit den Nerven am Ende. Und dieser Hamster war ich.
Gelangweilt starrte ich vor mich hin. Es war erst wenige Tage her, da hatte ich Kiras bestem Freund Jan geholfen, eine Tierquälerin zu überführen. Dazu musste ich als Ablenkungsmanöver von einem Schreibtisch in ein Wasserbecken springen, während Jan den entscheidenden Beweis sicherstellte.
Diese Aktion hatte mich große Überwindung gekostet, denn Wasser ist uns Hamstern ein Gräuel. Wir verabscheuen es, nass zu werden. Ich verabscheue es sogar ganz besonders. Wie soll man tapfer, tollkühn und verwegen aussehen, wenn das Fell trieft und man vor Kälte zittert?
Da ich ein Leben voller Gefahren führe, werde ich leider sehr oft unfreiwillig nass. Doch der Sprung ins Wasserbecken war kein Unfall gewesen, ich hatte es mit Absicht getan. Mit Absicht! Todesmutig!!! Denn es war der wichtigste unserer bisherigen Fälle gewesen. Kira und Jan hatten sich bei den Nachforschungen zerstritten. Erst nachdem der Fall gelöst war, gelang es mir, sie wieder zu versöhnen.
Es war das Opfer wert, sagte ich mir. Und doch …
Ich konnte einfach nicht aufhören, den schrecklichen Moment im Geist wieder und wieder zu erleben. Wenn ich mit etwas anderem beschäftigt war – wie Laufradlaufen, Klettern oder Wippen –, fühlte ich mich wie immer. Drahtig, sportlich, unbesiegbar. Aber sobald ich eine Pause einlegte, passierte es. Die Erinnerung holte mich ein, ich erstarrte und bekam kaum noch Luft. So wie eben, als ich auf die obere Etage getrippelt war, um mich in Ruhe zu putzen.
»Mit den Hinterpfoten voraus«, murmelte ich. »Zwei endlose Sekunden freier Fall. Und dann … platsch. Eingetaucht bis auf den Grund.« Ein Beben ging durch meinen Körper, von den Schnurrhaaren bis zum Stummelschwänzchen. »Mit den Hinterpfoten voraus!«, wiederholte ich lauter.
»He, Ruhe da oben!«, rief Lee (das spricht man »Lieh«), der vor dem Schlafhaus, das er sich mit Chan (»Tschann«) teilt, auf seinem gemütlichen Gelpolster hockte. »Ich versuche zu meditieren.«
»Und ich versuche, wieder der alte Neo zu sein«, sagte ich niedergeschlagen. »Tut mir leid, dass ich dich gestört habe.«
Lee sah zu mir hoch. »Was hast du gesagt?«
»Dass es mir leidtut«, wiederholte ich kläglich.
»O nein!«, stöhnte Lee. »Das ist ja furchtbar. Chan, komm schnell her. Wir müssen Neo helfen. Er ist völlig verstört. Er hat sich sogar entschuldigt. Das gab es noch nie.«
»Macht euch wegen mir keine Gedanken«, bat ich. »Lebt euer Leben und genießt jede Sekunde. Es kann so schnell vorbei sein. Mit Anlauf und Karacho und mit den Hinterpfoten voraus – platsch! – ins erbarmungslose Nass.«
»Oiweh.« Lee schüttelte den Kopf. »Neo, ich weiß, was los ist. Du bist traumatisiert.«
Chan stellte sich neben Lee und drehte einen Joghurtdrops zwischen den Vorderpfoten. »Was bedeutet tomatisiert?«
»Es heißt traumatisiert«, korrigierte Lee. »Und es bedeutet, dass man einen Schock erlitten hat und eine Therapie braucht, weil man sonst sämtliche Lebensfreude verliert.«
»Schon passiert«, sagte ich und ließ die Schnurrhaare hängen. »Lebensfreude gleich null. Platsch
Lee kam die Rampe hoch und legte mir eine Pfote auf den Rücken. Normalerweise hätte ich ihm jetzt gesagt, dass er mich gefälligst nicht anfassen soll, aber diesmal erduldete ich es fügsam.
»Ich kenne die ideale Therapie«, sagte er. »Ein ordentlicher Kreischanfall wird dir guttun. Lass alles raus. Den ganzen Frust, die Angst, die Verzweiflung. Mir hat das immer geholfen.«
»Kreisch«, hauchte ich unmotiviert. »Kreischi-kreisch.«
»Viel zu leise. Soll ich es dir vormachen?«, bot Lee an.
Chan stopfte sich den Drops in die Backentasche und schwankte die Rampe hoch. Er ist so rund, dass er wunderbar hochrollen könnte, wenn die Schwerkraft ihm nicht einen Strich durch die Rechnung machen würde. Aber runterrollen klappt immer prima.
»Warte, Lee«, sagte er. »Ich weiß was Besseres.« Er schob den Drops aus der Backe und hielt ihn mir hin. »Nimm den ins Maul und lass ihn ganz langsam und genüsslich auf der Zunge zergehen. Mir hat das immer geholfen.«
Ich sah den Drops an, dann Chan, dann Lee, dann wieder den Drops. »Lee, du warst noch nie so fürsorglich. Und Chan, du teilst sonst niemals freiwillig dein Futter. Seid ihr etwa auch atomisiert?«, fragte ich.
»Es heißt traumatisiert«, verbesserte Lee mit leicht gereiztem Unterton. »Nun lutsch schon den ollen Drops.«
Ich gehorchte. Er schmeckte süß und mehlig.
»Konzentrier dich auf den wundervollen Geschmack und das milde Joghurtaroma«, sagte Chan. »Das wirkt wahre Wunder.«
»Doppelt hilft besser«, meinte Lee. »Du könntest dabei gleichzeitig einen Kreischanfall kriegen.«
»Kreisch«, nuschelte ich. »Kreischi-krei…. grchkrchgrch.« Ich hatte mich verschluckt. Gleich würde mir schwarz vor Augen werden.
Lee schlug mir auf den Rücken, Chan griff mir ins Maul und angelte vergeblich nach dem Drops, während ich keuchte und röchelte und strampelte.
Was für ein unwürdiges Ende für einen Karatehamster. Aber man kann es sich nicht aussuchen, nicht wahr?

Über die Autorin:
Tina Zang hat sich einen Namen gemacht mit ihren frechen und ungewöhnlichen Kinder- und Jugendbüchern. Sie schreibt seit zwanzig Jahren, weil es nichts gibt, was sie glücklicher macht ... außer Singen und Katzen streicheln.


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