Leseproben für kleine Schmökerratten
- Kinderbücher von Indie-Autoren

Dienstag, 22. Dezember 2015

Weihnachtsgold und Lichterglanz von Ramona Stolle





Klappentext
Wenn Weihnachtsgold vom Himmel herabrieselt und Lichterglanz die Stuben erhellt, dann ist es wieder Weihnachtszeit.
In diesem Adventskalenderbuch warten Geschichten und Gedichte darauf, die lange Wartezeit bis zum Heiligen Abend zu verkürzen.
Auch wenn sich das Buch in 24 Kapitel aufteilt, kann man jede Geschichte oder jedes Gedicht unabhängig lesen.

Das Buch ist bei CreateSpace erschienen und kann über Amazon erworben werden.


Weihnachtsgold

Endlich war es soweit. Oma zog in das Zimmer neben David ein und genau gegenüber lag Annas Zimmer. Die Geschwister hatten sich lange darauf gefreut, dass Oma nun immer bei ihnen sein konnte. Und jetzt zur allerschönsten Zeit im Jahr, zur Weihnachtszeit, hatte Oma es sich bei Mama und Papa und David und Anna so richtig gemütlich gemacht.

Eines Tages stand Oma im Flur und rief Anna und David zu sich. Sie hielt in jeder Hand eine Tasche.
„Ich war einkaufen Kinder“, schnaufte sie, „bringt doch bitte die Sachen in die Küche.“
David und Anna halfen ihr sofort.
„Du hättest anrufen können“, sagte Anna, „wir wären dir entgegengekommen, dann hättest du nicht so schwer tragen müssen.“
„Ach, Anna“, lächelte Oma, zog ihren Mantel aus und hing ihn an die Garderobe, „ich komme mit den neumodischen Sachen nicht zurecht. Mein Handy liegt irgendwo in meinem Zimmer.“
„Oma“, mischte sich David ein, „ich erklär dir das mit dem Telefonieren nochmal. Es ist doch toll, dass es solche Sachen wie Handys gibt. Nutze es doch!“
„Du hast Recht“, nickte Oma ihm zu, „das machen wir aber später. Nun kommt erstmal mit in mein Zimmer. Ich hab euch etwas mitgebracht.“
Omas Taschen lagen auf dem Küchentisch und sie ließ alles, was sie bis eben ausgepackt hatte, einfach liegen. Sie griff nur nach diesem einen wichtigen Ding, das sie den Kindern zeigen wollte.
„Der ist für euch“, sagte sie ganz ruhig und geheimnisvoll. David und Anna sahen sich fragend an. Ein Adventskalender! Ein Adventskalender? Einer für Zwei?
Oma ging fröhlich mit dem Adventskalender in der Hand aus der Küche. Die Tür zu ihrem Zimmer quietschte leise, als sie sie öffnete. Oma trat ein und die Kinder folgten ihr. Das Zimmer war weihnachtlich geschmückt. Anna hatte goldene Sterne aus Stanniolpapier gebastelt, die jetzt an der Fensterscheibe klebten. David hatte in der Schule Kerzen selbst gegossen. Eine dicke rote Kerze hatte er Mama geschenkt, eine kleine silberne Kerze hatte er auf seinem Nachttisch stehen. Die schönste Kerze aber, die große silberne Kerze mit den goldenen Sternen, die hatte er Oma geschenkt. Sie stand mitten auf dem Tisch und Oma hatte feine Tannenzweige um sie herumgelegt.
„Setzt euch zu mir“, sprach Oma und David und Anna setzten sich auf die kleine gemütliche Couch  mit den vielen Kissen. Oma saß in ihrem Schaukelstuhl und wippte sehr zufrieden vor und zurück. Erwartungsvoll sahen die Kinder sie an.
„Ihr wundert euch, weil es nur ein einziger Adventskalender ist“, hauchte sie sehr leise, aber die Kinder verstanden jedes Wort. „Da ist auch keine Schokolade drin und keine Figuren oder Parfum oder so ein Zeugs.“
„Ich finde ihn schön“, unterbrach Anna sie, „es ist ein Winterwald mit überall Glitzer drauf!“
„Ja, es ist ein sehr hübsches Bild“, kicherte Oma, „aber es ist noch viel, viel mehr. Hier sind Geschichten drin! Geschichten, die euch vom Geist der Weihnacht erzählen.“
„Hinter jeder Tür steht eine Geschichte“, staunte David, „obwohl die Türen so klein sind.“
„Das ist vielleicht mit Zwergenschrift geschrieben“, warf Anna ein.
„Nein“, lachte Oma, „es sind Bilder darin, aber wenn das Weihnachtsgold wie Staub hernieder rieselt, dann werden sie lebendig und erzählen euch Geschichten.“
„Weihnachtsgold?“ Es waren magische Zeiten angebrochen, seit Oma eingezogen war, das spürten Anna und David genau.
„Weihnachtsgold pusten die Weihnachtsengel vom Himmel herab. So hüllen sie die Welt in den Zauber der Weihnacht ein. Die, die fest an den Weihnachtsmann und seine himmlischen Helfer glauben, die werden auch vom Weihnachtsgold umhüllt und können bestimmt ein kleines Wunder erleben.“
„Und du wirst uns die Geschichten erzählen?“, fragte David und klatschte vor Freude in die Hände.
„Ich mag Gedichte!“, rief Anna dazwischen. „Gedichte sind doch auch Geschichten.“
Oma betrachtete liebevoll den Adventskalender, dann sah sie ihre Enkelkinder an. Beide hatten vor lauter Aufregung glasige Augen und rote Wangen bekommen. Ein bisschen unheimlich war ihnen zumute, aber auch ganz herrlich weihnachtlich.
„Ja“, flüsterte Oma, „wenn ihr das wollt, dann erzähle ich euch jeden Tag eine Geschichte oder ein Gedicht bis zum Heiligen Abend.“
Da flimmerte Weihnachtsgold durchs Zimmer und legte sich sanft nieder.
David und Anna waren sehr glücklich. Es war einfach wundervoll, dass Oma bei ihnen war.
„Ja, Oma“, riefen sie, „ wir wollen jeden Tag eine Geschichte oder ein Gedicht hören!“
  
Ramona Stolle schreibt und dichtet für junge und junggebliebene Leserinnen und Leser. Ihre Kindergeschichten sind in mehr als dreißig Anthologien vertreten.
„Weihnachtsgold und Lichterglanz“ ist bereits ihr achtes Buch.
„Die Weihnachtszeit ist die Zeit, die den Glauben an Wunder und Märchen wieder ein bisschen näher bringt. Wir müssen nur die Augen aufmachen und mit dem Herzen sehen.“ Ramona Stolle
Wer mehr über die Autorin und ihre Bücher erfahren möchte, kann das unter www.ramonastolle.de.to

Dienstag, 15. Dezember 2015

Davie und der geheimnisvolle Mister Atnas von Brigitte Endres




Ein Weihnachtsmärchen in New York

Klappentext
Davie ist gar nicht weihnachtlich zumute. Warum war Mum nach der Scheidung auch nach New York gezogen? Er vermisst seinen kleinen Hund, den er in Wisconsin zurücklassen musste. Dad hatte jetzt eine neue Frau und einen neuen kleinen Jungen. Davie denkt nicht daran, Weihnachten mit ihnen zu verbringen. So wie Mum noch nicht den richtigen Partner gefunden hat, hat auch Davie hier noch keine Freunde, seine Klassenkameraden halten ihn für ein Landei. Deshalb vertreibt er sich die Zeit oft damit, durch sein Fernglas aus dem 20sten Stock in die Wohnungen gegenüber zu sehen.
Auch an dem grauen Dezembertag, an dem die Geschichte beginnt, sitzt Davie wieder am Fenster. Als er aus purer Langeweile das Fernglas umdreht – stutzt er. Klar und deutlich erkennt er einen alten bärtigen Mann mit einer Pudelmütze, der ihm von einem Dach in der City aus zuwinkt. Davies Neugier ist geweckt, er macht sich auf die Suche und findet ihn schließlich.
Wie diese Begegnung Davie Trost und Hoffnung schenkt, aber auch die Aussicht auf eine neue Familie, erzählt dieses berührende Weihnachtsmärchen.
Für Kinder ab 8 Jahren.
Erhältlich bei Amazon



Leseprobe

Zweites Kapitel
Doch an diesem Abend kam Davies Mutter, Mrs. Donegal so bedrückt von der Arbeit heim, dass Davie die Sache mit dem magischen Fernrohr völlig vergaß.
„Davie“, sagte sie mit belegter Stimme. „Dein Vater hat bei mir im Büro angerufen. Er möchte, dass du mit ihm und seiner neuen Familie Weihnachten feierst.“
Davie schoss augenblicklich das Blut in den Kopf. „Aber das will ich nicht“, rief er ganz außer sich. „Das kannst du ihm ausrichten! – Und überhaupt … Warum lassen wir Weihnachten dieses Jahr nicht einfach ausfallen?“
„Aber Davie“, entgegnete seine Mutter erschrocken. „Weihnachten kann man doch nicht einfach ausfallen lassen.“ Sie nahm ihn in den Arm. „Wir machen es uns auch zu zweit gemütlich.“ Sie fuhr ihm übers Haar. „Alles wie immer. Okay? Baum, Geschenke, Truthahn …“
Davie versteifte sich. „Nichts ist wie immer.“
Mrs. Donegal sah ihren Sohn betroffen an. Wo war ihr fröhlicher, unbeschwerter Davie geblieben? War er wirklich dieser Junge mit dem mürrischen Gesicht? Sie ließ das Thema ‚Weihnachten‘ erst einmal auf sich beruhen.
Trotzdem war an diesem Abend der Wurm drin.
Nach dem Essen legte Davies Mutter das Besteck beiseite. Davie sah ihr an, dass sie etwas loswerden wollte, etwas das ihr anscheinend ziemlich auf der Seele lag.
„Davie, ich möchte dir was sagen … Ich hab da jemanden kennengelernt …“
Davie starrte sie an. „Schon wieder?“
Seine Mutter fuhr zurück. „Sei nicht gemein, Davie! Es ist eben nicht jeder Erstbeste Mister Richtig.“
„Ist es jeder Viertbeste?“, schoss Davie patzig zurück und sprang auf. „Willst du mich deshalb an Weihnachten zu Dad verfrachten?“
„Davie!“, die Stimme seiner Mutter überschlug sich vor Schmerz und Enttäuschung. „Denkst du das wirklich?“
Aber da war Davie schon in sein Zimmer gerannt.
Er warf sich aufs Bett. Dad hatte sie verlassen und danach hatte Davie Dad verlassen. Er wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sollte er glücklich werden mit der Neuen und dem neuen Kind. Mum und er brauchten ihn nicht. Normalerweise sprachen sie nicht mal über ihn.
Das Jahr vor der Trennung war ein schlimmes Jahr gewesen. Mum hatte später gesagt, sie hätte Dad nie heiraten dürfen. Aber sie hatte es eben doch getan. Seinetwegen, Davies wegen. Mum war mit achtzehn schwanger geworden. Dad und sie kannten sich damals noch nicht sehr lang. Davie wusste nur, dass Mum das Baby, also ihn, unbedingt haben wollte. In New York wäre das kein Problem gewesen. In einem kleinen Städtchen in Wisconsin aber war es ein Problem. Oma und Opa mussten ziemlich Ärger gemacht haben, und dann hatte sich auch noch der Pastor eingemischt. Heiraten sollten die jungen Eltern, damit alles seine Ordnung hatte. Und schließlich heirateten sie tatsächlich. Mum sagte mal, sie habe Dad zwar gemocht, aber Liebe sei es nicht gewesen. Doch sie habe gehofft, dass die Liebe mit der Zeit käme.
Davie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und fixierte die Schatten an der Zimmerdecke.
Liebe. Die beiden passten einfach nicht zusammen. Ihm war das lang gar nicht aufgefallen. Für ihn war ja auch alles in Ordnung. Er stromerte draußen herum, spielte mit Groovy und Steve und besaß ein schönes großes Zimmer mit allem, was ein Junge so brauchte. Auch als Mum ins Gästeschlafzimmer zog, hatte er sich noch keine Sorgen gemacht. Dad ging an den Wochenenden oft mit ihm zum Fischen oder ins Stadion, wenn die Brewers spielten. Aber ganz allmählich wurde das immer seltener. Und dann waren Mum und er oft allein an den Abenden und an den Wochenenden. Wenn Dad jedoch mal da war, gab es nichts als Streitereien. Eines Tages zog Dad schließlich aus. Davie hatte am Fenster gestanden und zugesehen, wie er zwei große Koffer in den Jeep warf. Erst dachte Davie, dass er bald wieder heimkommen würde. Aber da hatte er sich getäuscht. Als Mum nämlich erfuhr, dass Dad mit einer anderen Frau ein Kind erwartete, reichte sich die Scheidung ein.
Davie krampfte es heute noch den Magen zusammen. So leicht war das also. Man besorgte sich einfach eine neue Familie, wenn es mit der alten nicht klappte. Aber das Schlimmste war, dass Davie oft dachte, dass er an allem schuld war. Ohne ihn hätten die beiden nie geheiratet. Ohne ihn wäre Mum sicher viel glücklicher geworden. Dad konnte ihm gestohlen bleiben. Davie ging nie ans Telefon, wenn sein Vater ihn sprechen wollte und er weigerte sich bis heute standhaft, ihn zu besuchen.
Fast ein Jahr lebten Mum und er noch in dem weißen Häuschen mit der Veranda. Dann zog Mum den Schlussstrich. So hatte sie das damals genannt. Sie verkaufte das Häuschen und bewarb sich um die Stelle in New York. Davie verstand ja, dass sie neu anfangen wollte. Aber für ihn war es einfach schrecklich gewesen. Er fühlte wieder diese dunkle, trostlose Traurigkeit hochsteigen, die seither immer in ihm lauerte.
Noch beim Frühstück am nächsten Morgen herrschte dicke Luft. Es kam selten vor, dass Davie und seine Mutter sich nicht vertrugen. Aber jeder von ihnen knabberte noch an dem Streit von gestern.
Nach der Schule machte sich Davie nicht sofort auf den Heimweg. Es wartete ja niemand auf ihn. Die seltsame Fernglaserscheinung von gestern zog ihn in die Innenstadt. Er wollte wissen, ob das gestern eine Fata Morgana gewesen war. Und wenn nicht – was es dann gewesen war.
Ein Gutes hatte New York, wenn man die Hauptrichtungen kannte, konnte man sich kaum verlaufen. Fast alle Straßen waren wie auf einem Schachbrett angeordnet. Entschlossen bog er in die 40ste Straße West ein.
Es war ein grauer Tag, nasskalt und ebenso trüb wie seine Stimmung. Eisiger Wind zog durch die Häuserschluchten. Davie rieb sich die Hände. Verdammt, warum hatte er seine Handschuhe daheim liegen lassen? Gut, dass er wenigstens eine Mütze mithatte. Seine Nase tropfte.
Die Leute hetzten an ihm vorüber. Hier in New York hatten es immer alle eilig. Daran hatte er sich auch erst gewöhnen müssen. Alles hier war schneller, lauter, größer, greller. Alles war irgendwie übertrieben.
In den Schaufenstern glitzerte und blinkte es. Gold und Silber, Grün und Rot. Sterne, Engel, Zwerge – und natürlich Weihnachtsmänner. Schnarchende, singende, beleuchtete, welche mit und ohne Rentier.
Und dann, vor dem Eingang von Macys: ein Weihnachtsmann aus Fleisch und Blut. Er bimmelte in einem knallroten, weiß abgesetzten Samtkostüm mit einer Glocke.
Peinlich, dachte Davie. Sein Bart sieht so billig aus! Nicht mal ein Blinder würde darauf reinfallen.
„Hoho!“, grölte der Mann im Kostüm, als Davie an ihm vorbeikam. „Fröhliche Weihnachten.“ Mit aufgesetztem Grinsen hielt er ihm einen Korb mit Werbegutscheinen unter die Nase.
Davie schüttelte den Kopf und ging weiter. Der falsche Weihnachtsmann zog eine beleidigte Grimasse, aber das bekam Davie nicht mehr mit.
Als die 40ste auf die Park Ave stieß, schwenkte Davie nach rechts. Er war sich fast sicher: Das Hochhaus mit dem grünen Türmchen musste irgendwo in der Nähe des Hauptbahnhofs stehen. Inzwischen durchbohrte in die Kälte wie Nadelstiche, sein Ärmel war vom vielen Nasewischen widerlich feucht. Aber bis zum Bahnhof war es jetzt nicht mehr weit. Schon von Weitem sah er den Bahnhofseingang mit den griechischen Säulen. Allerdings musste er auf die andere Seite, zu dem hohen Teil des Gebäudes, in dem früher einmal die Verwaltung untergebracht war.
Der Wind pfiff hier noch ärger. Davie zog die Mütze tief in die Stirn und begann zu rennen. Tatsächlich wurde ihm dabei wärmer. Nach einem ordentlichen Dauerlauf war er endlich am Ziel. Einem schnaubenden Drachen gleich, quoll ihm weißer Dampf aus Mund und Nase. Puh, jetzt hatte er auch noch Seitenstechen! Er war ja völlig aus dem Training! Steve hätte ihn wahrscheinlich um Längen abgehängt und dabei kein bisschen Seitenstechen gehabt. Davie atmete ein paarmal tief durch. Dann reckte er den Kopf.
Das Gebäude, das er suchte, musste eines von den höheren sein. Aufmerksam ging er die Park Ave hinauf. Hier stand ein Hochhaus am anderen. Eine Backsteinkirche mit verschnörkelten Verzierungen an den Fenstern kauerte wie ein verschüchtertes Kaninchen inmitten der hochragenden Konkurrenz.
Und dann blitzte in Davies Kopf plötzlich der Funke des Erkennens auf.
Das da vorn konnte es sein! – Das da vorn war es!
Er wechselte auf die andere Straßenseite, um das Gebäude besser betrachten zu können. Der imposante Bau ragte weit nach oben und besaß nicht ein, sondern zwei Türmchen, die den Abschluss einer größeren Plattform bildeten. Von dieser Plattform aus musste der Mann ihm zugewinkt haben.


Vita:
Brigitte Endres hat Grundschulpädagogik, Germanistik und Geschichte studiert. Heute arbeitet sie als Kinderbuchautorin für Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie für den Bayerischen Rundfunk. Ihre Bücher wurden in viele verschiedene Sprachen übersetzt.  www.brigitte-endres.de


Dienstag, 8. Dezember 2015

"Amelie und Amos feiern Weihnachten. Geschichten für die Kleinsten" von Eva Markert

Für Amelie und ihren Cousin Amos ist Weihnachten das schönste Fest überhaupt. Doch die beiden freuen sich nicht nur auf ihre eigenen Geschenke. Sie versuchen auch, dem Christkind ein wenig unter die Arme zu greifen. Wenn nur die Zeit bis zur Bescherung nicht so lang wäre!
Erhältlich bei Amazon.
 
Leseprobe:

Weihnachtsmann oder Christkind?

„Ich bin riesig gespannt, was mir der Weihnachtsmann bringt!“, ruft Ben.
Es sind nur noch ein paar Tage bis Heiligabend, und die Kinder im Kindergarten sind alle schon ganz aufgeregt.
„Bei uns kommt nicht der Weihnachtsmann, sondern das Christkind“, meldet Maximilian sich zu Wort.
„Wie bei uns“, mischt Amos sich ein. „Und den Weihnachtsmann, den gibt es gar nicht.“
„Klar gibt es den“, widerspricht Miriam. „Er kommt jedes Jahr in der Nacht vor Heiligabend und legt Geschenke für mich unter den Tannenbaum.“
„Das ist kein Beweis“, ruft Tobias dazwischen. „Das Christkind bringt auch Geschenke.“
„Zu uns kommt weder der Weihnachtsmann noch das Christkind“, wirft Aysche ein. „Weil wir Moslems sind.“
„Wie? Du kriegst Weihnachten keine Geschenke?“, hakt Tobias nach.
„Doch. Von meinen Eltern. Weil alle Kinder in Deutschland etwas geschenkt bekommen.“
„Na, wenigstens etwas“, meint Tobias.
Amos findet es schöner, wenn das Christkind die Geschenke bringt. Und an den Weihnachtsmann glaubt er überhaupt nicht. Das sagt er jetzt laut.
„Ich bin sicher, dass es den Weihnachtsmann gibt“, ereifert sich Ben. „Ich weiß alles über ihn. Er wohnt am Nordpol, und er kommt mit einem Schlitten, der von Rentieren gezogen wird ...“
„Das kann nicht sein“, unterbricht ihn Maximilian. „Es liegt überhaupt kein Schnee.“
Das ist leider wahr. Der schöne Schnee, der vor ungefähr vier Wochen gefallen ist, ist schon lange weggetaut.
„Na und?“, gibt Ben zurück. „Der Schlitten fliegt sowieso durch die Luft. Außerdem braucht euer Christkind auch einen. Wie will es sonst die Geschenke zu den Kindern bringen?“
Amos stutzt. Darüber hat er sich bisher keine Gedanken gemacht. Aber bestimmt ist das nicht schwierig für das Christkind, denn es kann ja alles.
„Ich denke, Engel helfen dem Christkind“, meint Maximilian.
„Ich glaube trotzdem an den Weihnachtsmann“, wiederholt Ben. „Mein Papa hat gesagt, dass er den Kindern auf der ganzen Welt Geschenke bringt: in Amerika, England, Frankreich, Russland ...“
„Das stimmt“, ruft Igor aus der Sonnengruppe, der Russe ist und zufällig zuhört. „Bei uns heißt er Väterchen Frost.“
Amos überlegt. Kommt das Christkind auch zu den Kindern in anderen Ländern? Darüber hat er noch nie nachgedacht.
„Es gibt noch mehr Beweise, dass der Weihnachtsmann echt ist“, ruft Miriam. „Jeder weiß, wie er aussieht. Er hat einen weißen Bart und weiße Haare, und er trägt einen roten Mantel und eine rote Mütze. Ich habe ihn oft gesehen, und er ist außerdem auf vielen Bildern.“
„Das Christkind hat blonde, lockige Haare, blaue Augen und ein weißes Kleid“, hält Amos dagegen.
„Wieso meinst du das?“, erkundigt sich Ben.
„So stelle ich es mir vor.“
Hohngelächter ist die Antwort der Kinder, die an den Weihnachtsmann glauben.
Inzwischen ist Amos ganz unsicher geworden. Was die anderen sagen, klingt überzeugend. Trotzdem will er lieber weiter an das Christkind glauben. Er muss mit seinen Eltern darüber reden.
Als seine Mama ihn abholt, fällt er gleich mit der Tür ins Haus. „Woher weiß man eigentlich, dass das Christkind echt ist und der Weihnachtsmann nicht?“, fragt er.
„Das kann man nicht wissen, das kann man nur glauben“, erwidert sie.
Amos erklärt ihr, warum viele Kinder im Kindergarten denken, dass der Weihnachtsmann die Geschenke bringt. „Weil man den Weihnachtsmann sehen kann und weil man viel über ihn weiß“, fasst er seinen Bericht zusammen.
„Und gerade das ist ein Beweis, dass es ihn nicht gibt“, antwortet Mama.
Verdutzt schaut Amos sie an.
„Überleg mal“, fährt sie fort. „Man sieht dauernd Weihnachtsmänner: im Fernsehen, in der Reklame, auf der Straße, in Kaufhäusern … Die können doch nicht alle echt sein. Das sind bloß Leute, die sich verkleidet haben. Wenn es den Weihnachtsmann wirklich gäbe, könnte er nicht immer an vielen verschiedenen Orten zugleich sein. Und er hätte anderes zu tun, als seine Zeit bei solchen Auftritten zu verschwenden.“
Als Amos das hört, fällt ihm ein Stein vom Herzen. Mama denkt also auch, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt.
Als sein Papa abends kommt, sagt er zu ihm: „Ich bin froh, dass ich nichts über das Christkind weiß und es nie sehe.“
„Nanu?“, wundert sich Papa. „Du hast dir doch immer gewünscht, es zu treffen.“
„Wenn ich es treffen würde, wäre es nicht das Christkind“, wendet Amos ein.
Das muss er Papa natürlich erklären.
„Jetzt verstehe ich“, erwidert der. „Und du hast recht: Das Christkind ist und bleibt ein großes Geheimnis.“
Amos nickt ernsthaft.
„Nur eins darfst du nicht machen“, fügt Papa hinzu. „Du darfst den Kindern, die an den Weihnachtsmann glauben, nicht die Freude verderben. Du möchtest genauso wenig, dass man dir dauernd erzählt, es gäbe kein Christkind.“
Amos verspricht, alles für sich zu behalten, was er nun über Weihnachtsmänner weiß. Gleichzeitig freut er sich, dass er an das Christkind glaubt.

Eva Markert lebt in Ratingen bei Düsseldorf. Von Beruf ist sie Studienrätin mit den Fächern Englisch und Französisch. Außerdem besitzt sie ein Zertifikat für Deutsch als Fremdsprache und ist staatlich geprüfte Übersetzerin. In ihrer Freizeit arbeitete sie viele Jahre als Lektorin und Korrektorin in einem kleinen Verlag mit.
Zahlreiche Kurzgeschichten und Kindergeschichten von Eva Markert wurden in verschiedenen Hör- und Printmedien veröffentlicht. Ihre Kinder- und Jugendbücher sowie Romane und Kurzgeschichtensammlungen für Erwachsene sind bei Amazon und anderen Händlern erhältlich.

Link zu Amazon: http://amzn.to/1bIYDhv

Dienstag, 1. Dezember 2015

Die Weihnachtszeitmaschine von Brigitte Endres



Klappentext
Diesmal verläuft das Weihnachtsfest für die Zwillinge Joschi und Laura sehr enttäuschend, keiner ihrer Herzenswünsche wird erfüllt. Jetzt erst erfahren sie: Der Vater hat seinen Job verloren. Noch am selben Abend geraten die Kinder in den Sog einer magischen Spieluhr, die sie in die Vergangenheit katapultiert. Als sie zurückkommen, wissen sie, um was es an Weihnachten wirklich geht …

Eine berührende Geschichte über Liebe, Hoffnung und Zusammenhalt. Zum Vorlesen und Selbstlesen für Kinder ab 8 Jahren.
Erhältlich bei Amazon 



Leseprobe
Die Spieluhr bringt die Zwillinge zunächst ins Jahr 1905, wo sie die gleichaltrige Luise  und das schwerkranke Minchen kennenlernen. Als sie schließlich versuchen, in ihre Gegenwart zurückzukehren landen sie zu früh, nämlich 1945.

6. Kapitel
„Mist!“, stieß Joschi aus.
Lara sah sich erschrocken um. „Aber der Zeiger hat sich doch nach vorn gedreht!“
„Anscheinend nicht lange genug“, erwiderte Joschi gepresst, während er versuchte, sich in dem schlecht beleuchteten Raum zu orientieren.
Lara schnüffelte. „Mann, riecht das hier muffig! Ich glaub, wir sind in einem Keller gelandet!“
Nur durch zwei matte kleine Fenster unterhalb der Decke, von denen eines einen dicken Sprung hatte, der notdürftig mit Fensterkitt geklebt war, fiel etwas Licht herein. Ganz allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. In einer Ecke lagen zwei Matratzen, darauf zerschlissenes Bettzeug, daneben zwei schäbige Koffer und ein Gestell mit einer Waschschüssel. Ein kleiner Tisch, ein Hocker, zwei Stühle, ein wackliges Regal auf dem ein wenig Geschirr und Kochgerät abgestellt waren, bildeten die Einrichtung. An der Wand stand ein alter gusseiserner Ofen. Das Ofenrohr führte durch ein behelfsmäßig mit Lappen ausgestopftes Loch ins Freie.
Lara stöhnte auf. „Wo sind wir bloß diesmal gelandet?“
Joschi schob einen Stuhl unters Fenster und kletterte hoch. „Du lieber Himmel!“, rief er.
Lara holte sich rasch den zweiten Stuhl. Fassungslos sahen sie hinaus. Gegenüber stand die vertraute Kirche, doch waren die schönen alten Buntglasfenster mit Brettern vernagelt. Am Straßenrand türmten sich schneebedeckte Schutthaufen von Steinen und Ziegeln. Es sah aus, als habe ein Erdbeben alles dem Boden gleich gemacht und nur die Kirche verschont.
Völlig unerwartet öffnete sich die abgeblätterte Tür, ein Junge kam herein. Lara und Joschi drehten sich erschrocken um. Der Junge schleppte ein Bündel kurzer Bretter, das er schwungvoll vor den Ofen warf. Dann kniete er nieder und hantierte an der Feueröffnung. Lara sprang vom Stuhl.
Erschrocken richtete sich der Junge auf. Er trug eine kurze Hose, darunter lange Strümpfe, die selbst gestrickt und rau wirkten. Seine Füße steckten in abgewetzten Schuhen. Aus der Jacke war er ganz offensichtlich herausgewachsen, darunter spitzte ein geringelter Pullover hervor.
Der Junge gaffte die Zwillinge feindselig an. Nach dem ersten Schreck nahm er mit funkelnden Augen ein Stück Holz vom Boden und richtete es drohend gegen die Eindringlinge. „He, was macht ihr hier! Raus mit euch!“
Lara war leichenblass geworden. Sie klammerte sich an ihren Bruder, der ebenfalls vom Stuhl geklettert war.
Aber Joschi, der es gar nicht mochte, wenn ihm jemand so kam, blaffte sofort zurück. „Reg dich ab! Wir sind schließlich nicht freiwillig hier.“
Der Junge, er war nicht viel älter als die Zwillinge, fuhr sich mit der freien Hand unschlüssig durch die braunen Haare, während er mir der anderen noch immer das Holz umklammerte. „Ihr wollt uns doch nur beklauen“, sagte er barsch.
„Beklauen?“, Joschi blickte sich kopfschüttelnd um. „Hier? Was könnte man denn hier schon klauen?“
„Heutzutage können die Leute alles gebrauchen – zum Beispiel was zum Anziehen.“ Stirnrunzelnd musterte er die Zwillinge, die in Nachthemd und Schlafanzug vor ihm standen.
Lara sah verlegen an sich herab. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen. „Hör mal, was uns passiert ist, ist eine total verrückte Geschichte …“ Damit begann sie, dem verdutzten Jungen die Sache mit der Weihnachtszeitmaschine zu erzählen. „Und das hier ist mein Zwillingsbruder Joschi, und ich heiße Lara“, beendete sie ihren Bericht.
Der Junge warf das Brett zu den anderen und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Das ist wirklich eine verrückte Geschichte“, sagte er. „Ich bin übrigens Karl. – Und das soll ich euch glauben?“
Joschi zuckte mit den Schultern. „Glaub, was du willst! Aber sag mal, welches Datum haben wir heute?“
„Heute ist Weihnachten“, sagte Karl. „Der 24. Dezember 1945.“
Lara seufzte. „So ein Mist, dann sind wir um Jahrzehnte zu früh gelandet.“ Sie zeigte zu den Fenstern. „Was ist denn da draußen los, war das ein Erdbeben?“
Karl lachte bitter. „So kann man es auch nennen! Wisst ihr das wirklich nicht?“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. „So was macht der Krieg – die Bomben! Kapito? Alles ist futsch. Von unserem Haus steht nur noch der Keller. Wir sind völlig ausgebombt. Das hier“, er deutete niedergeschlagen auf die wenigen Habseligkeiten, „ist alles, was wir noch haben.“ Er senkte den Kopf. „Aber das ist nicht das Schlimmste!“
Lara konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was es noch Schlimmeres geben könnte, als allen Besitz zu verlieren.
„Vater wird vermisst“, fuhr Karl leise fort. „Er ist noch nicht zurückgekommen. Dabei ist der Krieg schon seit Mai zu Ende. Mutter und ich warten auf ihn, jede Stunde, jeden Tag, seit Monaten.“
„Ist er Soldat?“, wollte Joschi wissen.
Karl nickte. „Was dachtest du denn?“ Er wendete den Kopf ab. Die Zwillinge bemerkten trotzdem, dass er mit den Tränen kämpfte. „Es sind so viele gefallen, mein Onkel auch. Wir haben seit Monaten keine Nachricht von Vater. Wir wissen gar nichts. Vielleicht ist er in Gefangenschaft, aber vielleicht ist er auch …“ Karl sprach nicht weiter.
Karls Schmerz machte auch den Zwillingen das Herz schwer. Lara dachte an Luise und Minchen und an die wundersamen Dinge, die sie erlebt hatten.
„Aber an Weihnachten geschehen manchmal die wunderbarsten Dinge“, sagte sie.
„Ein Wunder …?“ Karl zuckte mit den Schultern. Dann gab er sich einen Ruck. „Dass ihr hier seid, ist allerdings tatsächlich eines. Was mach ich jetzt bloß mit euch? Mutter wird sicher nicht über euren Besuch begeistert sein, das Essen reicht kaum für uns.“
„Mach dir keine Gedanken, außer dir kann uns wahrscheinlich keiner sehen!“, beruhigte ihn Joschi. „Und hungrig sind wir nicht. Aber wir müssen unbedingt bis zur Christmette hier bleiben, sonst funktioniert die Weihnachtszeitmaschine nicht. Wir werden euch ganz bestimmt nicht stören.“
Noch ehe Karl antworten konnte, knarrte die Tür und eine junge, schmale Frau mit einem Kopftuch und einem schweren Lodenmantel kam herein.
Ohne von den Zwillingen Notiz zu nehmen, band sie das Tuch ab und schüttelte es aus. „Es schneit schon wieder! Muss dieser Winter denn so kalt sein? Sind wir nicht schon gestraft genug?“
Mit einer müden Bewegung nahm sie einen grünen Stoffrucksack vom Rücken und zog den nassen Mantel aus. „Gott, bin ich erledigt!“, stöhnte sie und blickte sich suchend um. „Warum stehen denn die Stühle da drüben?“
Karl lief los und schob die beiden Stühle zum Tisch zurück. Seine Mutter setzte sich und zog ächzend die Schuhe aus. „Meine Füße sind die reinsten Eiszapfen. Keine Ahnung, wie viele Kilometer ich heute gelaufen bin – bis Kleinteuersdorf. Die Bauern werden immer unverschämter. Jetzt sind wir auch noch Großmutters Silberarmband los – für sechs Eier, ein bisschen Butter und Mehl.“ Sie sah zu Karl hin, der sich am Ofen zu schaffen machte. „Und du hast Holz beschafft?“
Karl nickte stolz. Emil und ich haben in der Bismarckstraße eine Ruine gefunden, wo noch was zu holen ist.“
Die Mutter, die sich die Füße rieb, sah erschrocken hoch. „Passt bloß auf mit den Blindgängern! Was ist, wenn so eine vergessene Bombe losgeht?“
„Mach dir keine Sorgen, Mutter, wir passen schon auf!“ Damit zündete Karl das Feuer an.
Während das Feuer nun anheimelnd prasselte und durch die Fugen des alten Ofens ein warmroter Schein in den düsteren Raum sickerte, packte die Mutter ihre Schätze aus dem Rucksack.
„Für die Lebensmittelmarken kriegt man kaum noch was. Dafür kann man dann auch noch stundenlang anstehen. Dass wir Städter ums Betteln und Hamstern gar nicht herumkommen, wissen die Bauern leider zu gut, sie werden immer unverschämter. Aber zum Glück gibt es auch gute Seelen. Schau!“ Die Mutter packte eine kleine Wurst aus. „Die hat mir eine Bäuerin geschenkt, weil Weihnachten ist.“
Karl machte einen Freudensprung. „Eine Rotwurst!“
„Die Feiertage sind gesichert“, sagte die Mutter lächelnd. „Heute backe ich Pfannkuchen und morgen gibt es Kartoffeln und Wurst. Was hältst du davon?“
„Eine ganze Menge!“, rief Karl begeistert. „Aber ich hab auch eine Überraschung!“ Er ging vor die Tür und kam mit einem großen Fichtenzweig wieder zurück. Dann kramte er stolz ein paar Kerzen aus der Jackentasche.
Über das Gesicht der Mutter flog ein freudiges Strahlen. „Wo hast du das nur alles her?“
Karl grinste geheimnisvoll. „Emil und ich sind eben auch gut im Organisieren.“
Allmählich wurde es dunkel. Die Mutter knipste das Licht an. Eine schwache Glühbirne, die verloren an der Decke hing, spendete wenig ungemütliches Licht. „Gott sei Dank“, seufzte sie. „Wenigstens haben wir heute Strom.“
Dann schickte sie Karl hinaus, einen Eimer Wasser zu holen. Als er wiederkam, hatte sie aus einem der alten Koffer ein sauberes Hemd herausgesucht. „Wasch dich und zieh dich um.“
Karl goss etwas Wasser in die Waschschüssel und wusch sich Gesicht und Oberkörper. Dann kämmte er sich die Haare mit einem nassen Kamm. Wie frisch gegelt glänzten sie jetzt.
Seine Mutter betrachtete ihn. „Gut siehst du aus. Du wirst deinem Vater immer ähnlicher.“ Sie stockte und begann ganz plötzlich zu schluchzen.
Karl nahm sie in den Arm. „Nicht weinen Mutter! Heute ist doch Weihnachten.“ Er sah zu Lara und Joschi hinüber, die beklommen auf einer Matratze saßen. „Vielleicht geschieht ja ein Wunder“, flüsterte er.
Seine Mutter drückte ihn fest an sich. „Ein Wunder?“, wiederholte sie tonlos und schluckte ihre Tränen hinunter.
„Komm, jetzt schmücken wir unseren Fichtenzweig“, entschied Karl.
Seine Mutter nickte tapfer. Sie schleppte einen alten Keramikkrug herbei und stellte den Zweig hinein. Mit etwas Draht befestigte Karl die Kerzen daran. Dann kramte er aus einer abgeschabten Lederschultasche ein paar Strohsterne und hängte sie dazu.
„Die haben wir im Unterricht gebastelt“, sagte er.
Seine Mutter zog ein sauberes Kleid an und steckte sich die Haare hoch. Als sie fertig war, zündete Karl die Kerzen an und knipste das elektrische Licht aus.
Die Mutter legte den Arm um ihn. „Schön ist er, unser kleiner Christbaum. Fröhliche Weihnachten, Karl!“ In ihren feuchten Augen spiegelte sich der Lichterglanz.
Karl sah scheu zu ihr hoch. „Fröhliche Weihnachten, Mutter!“
Dann schwiegen sie, standen nur da und ihre Gedanken schienen weit, weit weg zu sein.
Durch den warmen Luftstrom der Kerzen bewegt, warfen die Strohsterne bizarre Schatten an die Kellerwand. Im Ofen knisterte das Feuer, ein alter Wecker auf dem Regal tickte gleichmäßig.
Die beiden auf dem Matratzenlager beobachteten Karl und seine Mutter voller Mitgefühl. Lara dachte darüber nach, was der Großvater gesagt hatte. Wie sehr sie Karl und seiner Mutter jetzt ein Wunder wünschte!

Vita:
Brigitte Endres hat Grundschulpädagogik, Germanistik und Geschichte studiert. Heute arbeitet sie als Kinderbuchautorin für Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie für den Bayerischen Rundfunk. Ihre Bücher wurden in viele verschiedene Sprachen übersetzt.  www.brigitte-endres.de