Leseproben für kleine Schmökerratten
- Kinderbücher von Indie-Autoren

Dienstag, 29. September 2015

„Lulu und Ravin – Die Suche nach dem Sonnenlicht“ von Katja Baumgarten



Klappentext:

„Was sind das für komische Dinger auf deinem Rücken?“ fragte er neugierig.
„Das? Ach, das sind meine Flügel. Hast du denn keine?“
„Nein, so etwas brauche ich nicht.“
„Aber wie kannst du dann fliegen?“ wunderte sich Lulu.
„Magie…“, entgegnete der Mondelf und zwinkerte ihr zu.
Schwupps, schwebte er auf den Pilz hinauf.

Die kleine Sonnenfee Lulu liebt es, im Sonnenlicht mit den anderen Sonnenfeen über das Wasser ihres Sees zu fliegen und zu tanzen. Doch nun ist das Sonnenlicht schon seit Wochen verschwunden… Lulu macht sich auf den Weg, um das Geheimnis zu lüften. Unterwegs trifft sie den Mondelfen Ravin, der kurzerhand beschließt, ihr zu helfen. Werden sie es schaffen, das Sonnenlicht zurück zu holen?

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Leseprobe:
In einem fernen Land, vor langer Zeit, lebte einmal eine kleine Sonnenfee. Ihr Name war Lulu. Wenn die Sonne schien, sang und tanzte sie mit den anderen Sonnenfeen den ganzen Tag und flog mit ihnen ganz dicht über das Wasser des Sees, an dem sie zu Hause waren. Deshalb sah das Wasser bei Sonnenschein immer so aus, als würde es glitzern und das verzauberte die Menschen, die in den Häusern am Ufer des Sees wohnten. Wenn die Sonne nicht herauskam, blieben die Sonnenfeen in dem kleinen Wäldchen, das direkt neben dem See lag und vertrieben sich die Zeit.
Nun kam es, dass die Sonne sich einmal für mehrere Tage nicht blicken ließ. Das hatte es vorher noch nie gegeben. Die Sonnenfeen begannen, sich in dem kleinen Wäldchen zu langweilen, vermissten sie doch das Singen und Tanzen. Und ganz besonders vermissten sie den Anblick des glitzernden Wassers. Auch die Menschen fingen langsam an, sich Gedanken zu machen – aber was sollten sie anderes tun, als abzuwarten?
Lulu wollte nicht mehr warten.
Sie hatte genug von der Langeweile und eines Tages brach sie auf, um herauszufinden, welche Geheimnisse tiefer im Wald noch auf sie warteten. Keine Sonnenfee hatte sich jemals zuvor weiter in den Wald hinein gewagt, denn es ging die Sage um, dort würden schreckliche Gestalten hausen. Unheimliche Wesen, die das Sonnenlicht meiden und nur bei Nacht hervorkommen...
Doch Lulu hatte keine Angst.
Nichts, dachte sie, kann schrecklicher sein als diese Langeweile, denn inzwischen waren schon mehrere Wochen ohne Sonnenschein vergangen. Die Pflanzen begannen bereits zu verkümmern, da ihnen das kostbare Sonnenlicht fehlte.
Lulu hatte das Gefühl, irgendetwas unternehmen zu müssen.
Den Warnungen der übrigen Sonnenfeen zum Trotz, packte Lulu eine kleine Umhängetasche mit etwas Proviant und brach auf. Sie lief und lief immer weiter in den Wald hinein und wenn ihre Füße schmerzten, flog sie ein Stück. Die Bäume wurden immer höher, der Wald immer dichter. Seltsame Geräusche, die sie noch nie vorher gehört hatte, drangen an ihr Ohr. War sie am Morgen noch frohgemut und voller Hoffnung aufgebrochen, wurde sie nun immer trauriger und verzweifelter, je tiefer sie in den Wald gelangte. Gerade als Lulu schon überlegte, doch lieber wieder umzukehren, stand sie plötzlich auf einer Lichtung. Müde ließ sie sich auf einem großen Pilz nieder und schaute sich um.
Was hier für prächtige Blumen blühten! Ihnen schien das wenige Sonnenlicht gar nichts auszumachen, sie hatten große Blüten in den schönsten Farben.
Lulu freute sich über ihren bequemen Rastplatz inmitten dieses Blumenmeeres, doch noch bevor sie diese Schönheit näher betrachten konnte, war sie vor Erschöpfung in einen tiefen Schlaf gesunken.
Hey! Was machst du hier?“
Lulu fuhr aus ihrem Schlaf hoch. Erschrocken blickte sie sich um, konnte aber niemanden entdecken. Vielleicht habe ich das ja nur geträumt, dachte Lulu bei sich und wollte sich gerade etwas zu essen aus ihrer Tasche nehmen, als sie bemerkte, dass es inzwischen Abend geworden war.
„Hey du, ich habe dich etwas gefragt! Was machst du hier?“
Wieder erklang die Stimme und Lulu versuchte, in der Dämmerung zu erkennen woher sie kam. Da! Endlich entdeckte sie eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen.
„Ich… ich habe mich nur etwas ausgeruht. Ich habe einen weiten Weg hinter mir und bin einfach eingeschlafen“, versuchte Lulu zu erklären.
„Du sitzt auf meinem Lieblingspilz“, sagte die Gestalt, als sie näher kam.
„Verzeih, ich wollte niemanden stören.“ Unruhig rutschte Lulu auf dem Pilz herum. „Wer bist du überhaupt?“
„Das sollte ich wohl eher dich fragen. Schließlich befindest du dich hier im Reich der Mondelfen, zu denen du offensichtlich nicht gehörst.“
Mondelfen?!
Von diesen lichtscheuen Gesellen berichteten doch schon die alten Geschichten der Sonnenfeen! Dass diese tatsächlich der Wahrheit entsprachen, hatte Lulu nicht für möglich gehalten. Sie verbarg ihre Überraschung und entgegnete: „Du hast recht, zu den Mondelfen gehöre ich nicht. Ich bin die Sonnenfee Lulu und komme vom See am Rande dieses Waldes.“
„Sonnenfee? Ich glaub´s ja nicht! Ich dachte, euch gibt es nur im Märchen!“
Neugierig schwebte der Mondelf auf Lulu zu und so konnten sie sich gegenseitig betrachten.
Im fahlen Licht des Mondes, der inzwischen hoch am Himmel stand, traten sie sich gegenüber. Lulu war von dem Pilz herunter geflogen und der Mondelf erkannte, dass sie, genau wie er, sehr helle Haut hatte. Allerdings schien ihre beinahe durchsichtig wie der Rest ihrer kleinen Gestalt. Das Mondlicht brachte sie fast ebenso zum Schimmern wie sonst das Sonnenlicht. Ihre helle Haut war aber schon die größte Gemeinsamkeit, stellte er fest. Denn während seine Haare kurz und dunkel waren, hatte Lulu lange, sonnengelbe Locken. Und während ihre Ohren darunter kaum zu sehen waren, lugten unter seiner Kappe lange Ohrenspitzen hervor. Besonders erstaunt war er aber über Lulus Flügel.
„Was sind das für komische Dinger auf deinem Rücken?“ fragte er neugierig.
„Das? Ach, das sind meine Flügel. Hast du denn keine?“
„Nein, so etwas brauche ich nicht.“
„Aber wie kannst du dann fliegen?“ wunderte sich Lulu.
„Magie…“ entgegnete der Mondelf und zwinkerte ihr zu. Schwupps, schwebte er auf den Pilz hinauf. „Verrätst du mir, was du in deiner Tasche hast?“ fragte er Lulu.
„Klar“, erwiderte diese, während sie neben ihn flog. „Aber nur, wenn du mir deinen Namen sagst.“
„Ravin. Mein Name ist Ravin und nun bist du dran.“
„In der Tasche ist mein Proviant. Als du kamst, wollte ich gerade etwas essen. Aber jetzt können wir teilen. Hast du Hunger? Dann setz´ dich zu mir.“
Ravin setzte sich neben Lulu und gemeinsam machten sie sich über die Vorräte her.
„Was machst du hier so weit weg von zu Hause?“ fragte er zwischen zwei Bissen.
„Ach, weißt du, seit mehreren Wochen können wir Sonnenfeen nicht mehr über das Wasser unseres Sees fliegen, singen und tanzen, da die Sonne nicht mehr richtig scheint. Das wurde mir so langweilig, dass ich einfach aufbrechen musste. Außerdem verkümmern bei uns wegen des fehlenden Sonnenlichts schon die Pflanzen und vielleicht finde ich ja etwas heraus?“
„Hm, dass die Sonne nicht mehr richtig scheint, ist mir noch gar nicht aufgefallen. Aber uns Mondelfen käme das ganz gelegen, denn wir schätzen die Dunkelheit. Deshalb hätte ich mir keine weiteren Gedanken darüber gemacht.“
„Kennst du vielleicht trotzdem jemanden, der mir weiterhelfen könnte?“ fragte Lulu.
„Mal überlegen… ja, wir könnten zur Eule gehen! Sie ist sehr klug und weiß eigentlich alles.“
Ravin war froh, dass ihm die Eule eingefallen war, denn die kleine Sonnenfee gefiel ihm und er wollte ihr gerne helfen.
„Super! Dann lass´ uns gleich aufbrechen, ja?“
Lulu wollte schon ihre Tasche packen, da bremste Ravin sie: „Halt, nicht so schnell, Lulu! Warte hier, ich bin gleich wieder da. Ich möchte mir nur schnell auch ein paar Sachen einpacken und dann können wir los, okay?“
„Na gut, aber beeil´ dich, ich möchte keine Zeit mehr verlieren!“ rief Lulu ihm hinterher.
Was für ein Glück, dass ich diesen netten Mondelf getroffen habe, freute sie sich und erwartete voller Ungeduld Ravin´s Rückkehr.

„Ist es noch weit?“
Lulus Stimme durchdrang die Stille der Nacht.
„Nein, wir sind gleich da. Da vorne, die große Eiche ist es“, versicherte Ravin.
Der Mondelf hatte in Windeseile seinen Rucksack gepackt und war, ohne großes Aufsehen zu erregen, zur Lichtung zurückgekehrt. Sofort hatten die beiden sich auf den Weg gemacht, so dass Ravin gar keine Zeit blieb, sich über Sinn und Zweck dieser Unternehmung den Kopf zu zerbrechen. Wahrscheinlich habe ich einfach Lust auf ein Abenteuer, dachte er, denn normalerweise ließ er sich nicht so schnell auf Waghalsigkeiten ein. Zumal er diese Sonnenfee ja gerade erst kennengelernt hatte. Aber eine innere Stimme sagte ihm, dass es richtig und wichtig war, Lulu zu begleiten.

„Hier wohnt die Eule? Ich kann gar kein Nest sehen“, wunderte sich Lulu.
„Sie wohnt auch nicht in einem Nest, sondern im Baumstamm. Der ist nämlich hohl. Komm, wir fliegen mal rauf!“
Schwuppdiwupp landeten die beiden direkt vor einer Öffnung im Stamm auf einem Ast. Daneben war ein kleines Glöckchen angebracht. „3x klingeln“ stand darüber.
„Na, dann tun wir das mal“, sagte Ravin und zog an dem Band, das das Glöckchen in Bewegung setzte.
„Ihr seid ja ein putziges Pärchen“, ertönte hinter ihnen eine kauzige Stimme und der Ast, auf dem sie saßen, geriet ins Schwanken. Die Eule hatte sich darauf niedergelassen und betrachtete sie amüsiert.
„Eine Sonnenfee und ein Mondelf, das sieht man nicht alle Tage. Möchtet ihr zu mir?"
„Ja, genau“, sagte Lulu. „Verzeih´ die Störung, wir wollten dich fragen, ob du weißt, wieso die Sonne nicht mehr richtig scheint. Ravin meinte, du bist sehr klug und weißt einfach alles.“
„Soso, meint er das. Nun, aus welchem Grund möchtet ihr das wissen?“
„Wenn die Sonne nicht mehr richtig scheint, können wir Sonnenfeen nicht mehr über das Wasser unseres Sees fliegen, singen und tanzen und auch die Pflanzen verkümmern ohne das Sonnenlicht“, erklärte Lulu.
„Also braucht ihr mein Wissen, um damit Gutes zu tun?“ Lulu und Ravin nickten. „Dann will ich euch etwas verraten, das euch weiterhilft: Geht zur Moorhexe. Dort werdet ihr die Antwort auf eure Frage finden.“
„Das ist alles? Aber wo wohnt denn die Moorhexe?“ fragte Lulu.
„Sie wohnt in einem kleinen Haus, mitten im Moor des Modders. Geht immer der Nase nach, dann könnt ihr es nicht verfehlen. Mehr kann ich euch nicht verraten.“
„Äh… ja, danke“, ratlos blickten sich Lulu und Ravin an. „Dann machen wir uns mal auf den Weg.“
Die beiden verabschiedeten sich und schwebten vom Baum herunter.

„Sag mal, hast du das verstanden, Ravin? Immer der Nase nach, so ein Quatsch! Dann kommen wir doch nie an!“
„Nun ja, merkwürdig finde ich das auch, aber die Eule hat eigentlich immer recht.“ Ratlos zuckte Ravin mit den Schultern. „Ich schlage vor, wir gehen erst einmal los. Vielleicht treffen wir unterwegs ja jemanden, der uns den Weg erklären kann.“
Da Lulu keinen besseren Vorschlag machen konnte, stimmte sie zu und so setzten sie ihren Weg fort.
Sie waren noch nicht lange gelaufen, als die Stimmung im Wald plötzlich umschlug. Es war auf einmal totenstill – kein Insektensummen, kein anderes Geräusch der Nacht war mehr zu hören.
„Kann es sein, dass wir da sind? Ich fühle mich plötzlich so merkwürdig.“ Noch bevor Ravin antworten konnte, war Lulu, die voraus gelaufen war, ausgerutscht und der Länge nach hingeschlagen.
„Iiiiihhh… hier ist ja alles voller Modder!“ schrie Lulu und verzog angeekelt das Gesicht.
„Dann sind wir wohl da.“ Ravin konnte sich gerade so ein Lachen verkneifen. Wie Lulu da so wie ein Maikäfer auf dem Rücken lag, sah sie schon sehr komisch aus – außerdem war er froh, nicht selbst ausgerutscht zu sein.
„Hallo!? Könntest du mir vielleicht mal hoch helfen? Das Zeug ist nämlich ganz schön klebrig.“
Ravin nahm sich zusammen und reichte Lulu die Hand. Aber was war das? Ein Gefühl wie tausend kleine Sonnenstrahlen – warm und kribblig – lief von der Hand, mit der er Lulu berührte, über seinen Arm direkt bis in sein Herz. Fast hätte er sie vor Überraschung losgelassen, doch in ihrem Blick konnte er sehen, dass sie dasselbe fühlte. Schnell zog Lulu ihre Hand zurück, rappelte sich auf und blickte wie Ravin verlegen zur Seite.
„Mit diesen Flügeln kann ich aber erst mal nicht mehr fliegen“, versuchte Lulu abzulenken. „Die sind ja total verklebt.“
Verwirrt schüttelte Ravin den Kopf, wobei er weiter draußen im Moor etwas entdeckte.
„Tja“, meinte er, „und wie willst du dann dorthin kommen?“
Lulu blickte in die Richtung, in die Ravin zeigte und da sah sie es auch: das Haus der Moorhexe.
Schemenhaft waren die Umrisse des Hauses in der Dunkelheit zu erkennen. Lulu versuchte, ihre Flügel von dem Matsch zu befreien. Ravin half ihr, doch sie merkten rasch, dass es sinnlos war. Der Modder klebte einfach zu stark.
„Dann musst du alleine fliegen“, meinte Lulu enttäuscht. „Zu Fuß schaffe ich es nie dorthin.“
„Kommt ja gar nicht infrage, ich lasse dich doch nicht alleine hier zurück!“ Ravin war ganz entrüstet. „Da kann dir ja sonst was passieren! Nein, da habe ich eine bessere Idee. Siehst du das Seerosenfeld da vorne? Komm mal mit!“
Lulu hatte keine Ahnung, was Ravin vorhatte, doch sie folgte ihm vorsichtig. Bei den Seerosen angekommen, kramte Ravin ein kleines Messer aus seinem Rucksack und schnitt an einem besonders schönen und großen Exemplar den langen Stängel ab, der die Blüte an ihrem Platz hielt.
„Bitte einsteigen!“
Während er das Messer wieder verstaute, nahm Lulu in dem Blumenkelch Platz. Der Mondelf erhob sich lautlos in die Luft und schob Lulu in der Blüte sachte vor sich her – genau auf das Haus der Moorhexe zu.
„Oh, da hatte wohl noch jemand deine Idee“, bemerkte Lulu. Und tatsächlich: neben dem Haus lag noch ein Seerosenboot.
„Dann legen wir besser auf der anderen Seite an“, flüsterte Ravin und bugsierte Lulu in dem kleinen Blütenboot um die Ecke.
Das Haus der Moorhexe stand auf Stelzen und war umgeben von einem hölzernen Steg. So konnten Lulu und Ravin gefahrlos das ganze Haus umrunden. Die beiden spähten durch eines der erleuchteten Fenster und Ravin riss erstaunt die Augen auf. Er musste einen Aufschrei unterdrücken.
Entsetzt sah Lulu ihn an: „Was ist denn los?“
„Ich… ich … kenne den Mann da drin“, stotterte Ravin. „Es ist der Mondelfenkönig! Was macht der denn hier?“ Ravin konnte es nicht fassen.
„Pssst! Lass uns beobachten, was die beiden vorhaben!“
Gespannt verfolgten sie, wie der Mondelfenkönig ein dunkles Tuch zur Seite zog und eine große Sonnenkugel auf dem Tisch vor ihm zum Vorschein kam.
„Aha, dafür hat er wohl das Seerosenboot gebraucht“, sagte Ravin.
„Könnt ihr denn nicht fliegen, wenn ihr etwas tragt?“ wunderte sich Lulu.
„Kommt drauf an, wie schwer es ist. Und wie schwer man selbst ist. Der König ist ja ziemlich beleibt, wie du sehen kannst.“
„Da! Was machen sie denn jetzt?“
Die Moorhexe hatte beschwörend ihre Hände erhoben und murmelte verschiedene Zaubersprüche über der Sonnenkugel. Diese veränderte daraufhin nach und nach ihre Farbe und wurde immer dunkler.
„Siehst du das? Der Mondelfenkönig ist schuld daran, dass kein Sonnenstrahl mehr bis zum Erdboden dringt! Die Moorhexe verzaubert die Sonne und – da! Der König gibt ihr einen Beutel! Da ist bestimmt Geld drin!“
Lulu war ganz außer sich.
„Das kann ja wohl nicht wahr sein! Für ein bisschen Geld müssen alle anderen auf das Sonnenlicht verzichten? Oh man, bin ich sauer!“
Beschwichtigend fasste Ravin Lulu am Arm. Da war es wieder, dieses schöne, warme, kribblige Gefühl. Er hielt kurz inne, konnte aber nicht darauf eingehen, denn gerade in diesem Moment verließ der Mondelfenkönig das Haus. Sofort legten sich Lulu und Ravin flach auf den Boden.
„Also dann, bis zum nächsten Mal“, hörten sie eine schleimige Stimme. Das musste die Moorhexe sein. „Du und dein Geld seid immer herzlich willkommen, hähä!“
„Auf bald, Moorhexe. Möge die Sonne noch möglichst lange nicht scheinen!“
Sie warteten, bis der König auf der anderen Seite die Kugel ins Boot gelegt hatte und sie über den Sumpf zurück zum Ufer schob.
„Hihi, zum Glück weiß dieser dümmliche Mondelfenkönig nicht, dass es einen Gegenzauber gibt“, sagte die Moorhexe zu der dicken Kröte, die auf ihrer Schulter saß, während sie verfolgte, wie der Mondelfenkönig langsam im Zwielicht verschwand.
„Aber er lebt ja unter der Erde. Woher sollte er dann auch von der Schlucht der Sonnenblüten wissen? Dort können die Blumen so viel Sonnenschein speichern, dass sie voller Sonnenstaub sind. Diesen über die Kugel gestreut und oh, oh… vorbei der schöne Zauber – hihihi!“
Kichernd drehte sie sich um und verschwand wieder im Haus.
„Wir müssen sofort diese Schlucht suchen!“
Ehe er sich versah, war Lulu schon wieder in die Seerose geklettert und bedeutete Ravin, sie ans Ufer zu schieben. Als sie bereits die halbe Strecke zurückgelegt hatten, fing es plötzlich an zu regnen. Vereinzelte, tröpfelige, dann aber schnell dicker werdende Regentropfen prasselten auf Lulu und Ravin herab.
„Oh nein, auch das noch! Muss es denn ausgerechnet jetzt an-fangen zu regnen? So ein Pech!“
Ravin überhörte Lulus Gezeter, ihm machte der kleine Schauer nicht viel aus. Trotzdem beeilte er sich, das Ufer zu erreichen. Dort suchten sie sich ein großes Blatt, das ihnen Schutz bot und stellten sich unter. Beim Anblick von Lulu´s Flügeln kam Ravin ein Gedanke.
„He, nutze den Regen doch als Dusche, Lulu! Stell dich mittenrein und lass ihn deine Flügel sauber waschen!“
„Prima Idee!“
Lulu drehte sich im Regen und ließ den ganzen Modder und Matsch von ihren Flügeln spülen. Nach kurzer Zeit waren sie wieder sauber.
„Jetzt müssen sie nur noch trocknen“, freute sie sich.
„Dann komm zu mir unter das Blatt!“ Ravin klopfte einladend auf den Platz neben sich.
„Wenn wir hier schon festsitzen, können wir gleich meinen letzten Proviant aufessen. Was hältst du davon?“
Ohne Ravins Antwort abzuwarten, leerte Lulu ihre Tasche aus und teilte das Essen auf.
Dabei bemerkte Ravin, dass sie fröstelte.
„Warte mal, ich habe noch eine Jacke im Rucksack. Die ist be-stimmt noch nicht nass geworden.“
Glücklicherweise hatte er recht und Ravin legte Lulu die Jacke um. Dankbar lächelte sie ihn an. Plötzlich bemerkten beide, wie erschöpft sie waren. So kuschelten sie sich aneinander, genossen die Wärme, die sie sich gegenseitig spendeten und schliefen ein.
„Bsssssssss….. bsssssssssssss.....“
Ein unangenehmes Geräusch weckte die beiden. Als sie sich räkelten, landete vor ihnen ein kleiner Moskito.

„Da habt ihr euch aber ein schönes Plätzchen zum Picknicken ausgesucht“, sirrte er. „Es verirren sich komischerweise nur selten Besucher in diese herrliche Gegend – was ich gar nicht verstehen kann. Gestatten, ich bin übrigens Morris, der Moskito. Und wer seid ihr?“
„Mein Name ist Ravin. Ich bin ein Mondelf. Und das ist Lulu, die Sonnenfee. Wir sind auf der Suche nach dem Sonnenlicht. Du kennst nicht zufällig die Schlucht der Sonnenblüten?“
„Ja, aber klar! Mein Vetter Son wohnt dort und ab und zu besu-che ich ihn da. Soll ich euch den Weg zeigen?“
„Würdest du das tun? Das wäre supernett von dir! Haben wir ein Glück, was Lulu?“
„Das kannst du laut sagen, Ravin! Morris, wann können wir denn los? Und ist es weit?“
„Nein, nicht sehr und meinetwegen kann es sofort losgehen.“
So packten Lulu und Ravin schnell ihre Sachen ein und flogen hinter Morris her, der ihre kleine Gruppe anführte.
Nach einiger Zeit ließen die drei den Wald hinter sich und vor ihnen erhob sich ein gewaltiger Hügel. Es war nicht einfach, dort hinauf zu fliegen, doch mit letzter Kraft schafften sie es und ließen sich oben auf der Hügelkuppe nieder. Was sie von hier oben erblickten, war einfach überwältigend und entschädigte sie für alle Anstrengungen. Tief unter sich sahen sie ein Meer aus gelben Blüten, umgeben von weiteren Hügeln, die dem ähnelten, auf welchem sie saßen. Alle Hügel reckten sich hoch in den Himmel hinauf und hielten die Wolken fern, so dass die Sonne immer auf die Schlucht scheinen konnte.
Normalerweise.
Jetzt war die helle Scheibe am Himmel verdunkelt und hüllte alles in ein merkwürdiges Licht.
„Im Sonnenlicht sieht die Schlucht noch tausendmal schöner aus“, bemerkte Morris. „Merkwürdigerweise ist es schon seit einiger Zeit nicht mehr richtig sonnig. Einige Blumen fangen schon an einzugehen.“
„Deshalb sind wir hier, Morris. Wir wollen das Sonnenlicht wieder und dafür brauchen wir Sonnenstaub aus diesen Blüten da unten“, erklärte Lulu.
„Na, da trifft es sich ja gut, dass mein Vetter ein Schmetterling ist. Er wird euch sicher helfen, an den Blütenstaub zu kommen. Folgt mir, ich bringe euch zu ihm!“
Und so schwebten sie hinab in die Schlucht der Sonnenblüten.
Ein süßer Duft streichelte ihre Nasen. Erst ganz sanft, aber je näher sie dem Boden kamen, desto intensiver wurde er. Alle drei atmeten tief ein und konnten sich kaum satt riechen. Ein wenig benommen landeten sie neben einer besonders schönen Blüte und wurden sogleich willkommen geheißen.
„Hallo Morris, wen hast du denn da mitgebracht?“ Hinter der Blume trat ein Schmetterling hervor und musterte Lulu und Ravin interessiert.
„Tja, lieber Vetter, so schnell sieht man sich wieder!“ Freudig schloss Morris Son in die Arme.
„Die beiden traf ich im Moor und sie fragten mich nach dem Weg zur Schlucht der Sonnenblüten – und da ich gerade nicht Besseres vorhatte, habe ich sie hergeführt“, erklärte der Moskito.
„Nun, ich bekomme nicht oft Besuch, deshalb würde es mich sehr glücklich machen, euch in mein Haus einzuladen. Kommt! Ich habe gerade frische Blütenpollenkrapfen gemacht. Die wer-den euch nach eurer Reise sicher gut tun.“
„Vielen Dank, das Angebot nehmen wir gern an!“ sagten Lulu und Ravin wie aus einem Munde und folgten dem Schmetterling. Unterwegs berichteten sie ihm von ihrem Vorhaben.
„Klar kann ich euch da helfen!“ versprach Son. „Ich finde es toll, dass ihr was unternehmt, damit die Sonne wieder richtig scheinen kann. Gleich morgen früh werde ich euch den schönsten Sonnenblütenstaub sammeln. Aber jetzt lasst es euch erst einmal schmecken!“
Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Hungrig setzten sie sich an den Tisch in der gemütlichen Küche und aßen mit Genuss die herrlichen Blütenpollenkrapfen. Nachdem sie alles bis auf den letzten Krümel verputzt und ihren Durst an wohlschmeckendem Nektar gestillt hatten, meinte Son: „Der Abend kommt. Am besten sucht ihr euch schnell eine Blüte zum Schlafen, bevor sie sich alle zur Nacht schließen.“
„Ist gut, dann sehen wir uns morgen! Gute Nacht!“ riefen Lulu und Ravin und machten sich auf die Suche nach einem Schlafplätzchen.
Ein zarter Windhauch weckte Lulu.
Sie öffnete die Augen und bemerkte, dass sie im Schlaf immer näher an Ravin heran gerutscht war – wohl wegen der Kälte in der Nacht. Seufzend drückte sie sich noch einmal an ihn und genoss seine Nähe. Dann fiel ihr plötzlich siedend heiß ein, weshalb sie eigentlich hier waren: Der Zauber der Moorhexe… der Blütenstaub…
„Ravin, wach auf!“ Sanft rüttelte sie ihn wach.
„Lulu? Was ist denn los?“ Der Mondelf streckte sich ausgiebig.
„Oh, ich fühle mich wie gerädert. So langsam macht sich mein fehlender Tagschlaf bemerkbar.“
Verständnislos starrte Lulu ihn an.
Tagschlaf?
Dann wurde ihr klar, was er meinte. Natürlich! Er war ja ein Mondelf – normalerweise schlief er am Tag!
„Aber…“ begann Lulu.
„Zerbreche dir darüber mal nicht den Kopf“, wich Ravin aus. „Komm, wir suchen Son!“
Sie erblickten den Schmetterling schon, als sie über den Rand der Blüte blickten, die ihnen als Nachtlager gedient hatte.
„Guten Morgen, ihr zwei! Na, ausgeschlafen?“ rief er ihnen zu, während er geschäftig von Blüte zu Blüte flog und deren Staub in einem kleinen Beutel sammelte.
„Ich bin gleich fertig. Geht doch schon einmal ins Haus, dann können wir gleich gemeinsam frühstücken!“
Am Tisch trafen sie Morris wieder, der die Nacht im Haus verbracht hatte. Wenig später gesellte sich auch Son zu ihnen und legte einen staubglitzernden Beutel auf den Tisch.
„So, das müsste reichen. Ich hoffe, ich kann euch damit helfen, den Zauber der Moorhexe zu brechen.“
„Bestimmt“, versicherte Lulu und steckte den Beutel in ihre Tasche. „Vielen Dank für alles, aber jetzt müssen wir weiter.“ Lulu und Ravin erhoben sich.
„Ich bleibe noch eine Weile hier bei Son“, verkündete Morris.„Findet ihr den Weg zurück allein?“
„Zum Mondelfenreich? Oh ja, den Weg kenne ich“, entgegnete Ravin und verließ, gefolgt von Lulu, mit entschlossenem Gesicht das Haus.





Autorenvita:
Katja Baumgarten ist ausgebildete Tanzpädagogin, steht aber eigentlich schon immer auf mehreren beruflichen Standbeinen. Neben Familie mit Mann, zwei Kindern und zwei Katern arbeitet sie derzeit in einem Fitnessstudio, gibt Ballettunterricht und geht ihrer Passion nach: dem Schreiben und Illustrieren von Kinderbüchern.
Zur Zeit beschäftigt sie aber noch ein weiteres Projekt: die Entwicklung eines Fantasy-Jugendromans, der 2016 erscheinen soll.

Freitag, 25. September 2015

Sarah und die schwarze Burg von Veronika Aretz



Klappentext:
Geheimnisvolle Dinge geschehen in Sarahs Nähe, ihre Familie macht sie dafür verantwortlich. Auch in der Schule hat sich anscheinend jeder gegen Sarah verschworen – soll sie wirklich dem Rat ihrer verhassten Lehrerin folgen und so werden wie sie?
In Mirathasia kann Sarah aufleben – doch das Land wird von einer schwarzen Burg bedroht, zu der nicht einmal die Programmierer einen Zugang finden. Als dann auch noch Virusbomben einschlagen, findet Sarah zusammen mit ihren Freunden einen Weg ins Innere der Burg, doch dort wartet eine böse Überraschung auf sie …
Erhältlich bei Amazon und beim Verlag.

Leseprobe:
Anhand des Tellerklapperns hörte Sarah genau, dass es bald Zeit für das Abendessen war. Ihr Vater Peter kam regelmäßig um siebzehn Uhr von der Arbeit, und bis auf wenige Ausnahmen – meistens, wenn ihr Stiefbruder beim Fußball war – aßen sie gemeinsam zu Abend. An diesen Tag würde Georg wieder fort sein, dann würden die Gespräche bei Tisch sehr viel entspannter sein und Gezanke gab es auch nicht. Auf diese Zeit freute sich Sarah, und von ihr aus konnte Georg ruhig jeden Abend zum Training gehen.
Als sie jedoch in die Küche kam, um ihrer Stiefmutter Tina bei den Vorbereitungen zu helfen, traf es sie wie ein Schlag: Georg lehnte am Fenster, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und grinste sie an.
Er grinste immer so. Sarah wusste genau, dass er meist dann diesen Gesichtsausdruck zeigte, wenn er irgendwas gefunden hatte, womit er sie bei Tina und Peter anschwärzen konnte. Sie biss die Zähne zusammen, denn es gab tatsächlich genug, dass einen handfesten Krach heraufbeschwören würde. Aber konnte er von ihren geheimen Internetausflügen wissen? Hatte er vielleicht durch das Fenster beobachtet, wie sie nach den Englisch-Nachhilfestunden den Computer ihres Lehrers benutzte?
Wut stieg in Sarah hoch. Georg musste alles kaputt machen, was sie mochte. Nein, sogar noch mehr: Er sorgte dafür, dass sie diese Dinge nie wieder ausüben konnte. Obendrein waren die Strafarbeiten schon vorprogrammiert, denn ganz egal, was sie machte, irgendwas war immer falsch.
Doch dann durchströmte eine Welle des Glücks ihren Körper. Sie erinnerte sich an Flocke und Micha, an Mirathasia und all die vielen Dinge dort. Und da wurde ihr klar: Egal, was Georg wieder vorhatte, diese Erinnerung konnte er ihr nicht nehmen, diese Gefühle waren nur für sie bestimmt. Und auch wenn sie nur einmal in der Woche dort hingelangte, diese Welt dort war ihre richtige Heimat – für immer.
Es gelang ihr ein Lächeln. „Nanu?“, fragte sie. „Bist du nicht zum Fußballtraining?“
„Nee, heute nicht.“ Georg runzelte die Stirn, anscheinend missfiel ihm Sarahs Freundlichkeit.
„Warum denn nicht?“, bohrte Sarah nach.
„Das geht dich gar nichts an!“, fauchte er zurück.
Sarah schaute zu Tina, die gerade dabei war, das Fleisch in der Pfanne zu wenden. Sie hatte Georgs Antwort und seinen unmissverständlich frechen Ton gehört – und doch sagte sie nichts.
„Oh prima!“, lachte Sarah. „Dann kannst du ja auch mal helfen, den Tisch zu decken!“
„Pff!“, machte Georg nur, blieb aber weiterhin mit den Händen in den Taschen am Fenster gelehnt stehen.
„Das könntest du wirklich“, sagte da Tina, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. „Sarah, du hobelst am besten schon mal die Gurken.“
„Klar, mach ich gerne.“ Sarah machte sich sogleich an die Arbeit. In der Küche kannte sie sich aus, sie hatte genug Strafdienste hinter sich und wusste daher genau, wo alle Geräte standen und die Vorräte gelagert wurden. Sie ging zur Schublade und zog sie auf.
KRACH!
Das Glas mit Bohnenschnippel, das nicht weit von ihr gestanden hatte, lag auf dem Boden. Es war in viele Teile zersprungen und die Bohnenstücke lagen weit verstreut.
„Sarah!“ Tinas Stimme donnerte ihr entgegen, begleitet von einem wütenden Blick. „Kannst du nicht aufpassen?“
„Aber ich war doch nicht mal …“, stammelte Sarah.
Doch Tina fuhr ihr gleich dazwischen: „Was sollen wir denn jetzt essen, wenn du das Gemüse auf den Boden schmeißt? Mach das sofort sauber!“
Den Putzlappen hatte Sarah bereits in der Hand, und dass sie die Schweinerei wegwischen sollte, brauchte Tina überhaupt nicht zu betonen. Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Das Glas hatte viel zu weit weg gestanden, als dass sie es hätte umstoßen können. Und doch war außer ihr niemand sonst in der Nähe gewesen.
Aus der Besenkammer holte sie sich einen Eimer und tapste vorsichtig durch den Bohnenmatsch zur Unfallstelle. Zuerst wollte sie die Glasscherben aufsammeln, danach den Rest aufwischen. Während sie die Splitter in den Eimer warf, beugte sich Georg zu ihr herunter.
„Du stellst auch nur Unsinn an“, sagte er. Dann warf er den Deckel des Bohnenglases in den Eimer.
Noch bevor sie überrascht aufschauen konnte, berührte er ihre Hand.
„Ahhhrg!“, brüllte er, fuhr erschrocken auf und wich entsetzt von ihr fort. „Spinnst du? Hast du einen Elektroschocker dabei, oder was? Du hast mir voll eine gezockt!“ Dabei hielt er sich seine rechte Hand und krümmte sich vor Schmerz.
Tina fuhr erneut herum. „Mein Gott, was soll das denn jetzt wieder!“, schrie nun auch sie. Angewidert starrte sie Sarah an. „Kannst du das nicht mal sein lassen? Georg wollte dir beim Aufräumen helfen, falls du das nicht gemerkt hast!“
Was sollte sie sein lassen? Sarah sank in sich zusammen, griff mechanisch nach dem Lappen und wischte die Bohnen auf. Sie vergaß jedoch, dass Glassplitter dabei waren, und als sie ihre blutigen Finger sah, war es bereits zu spät.
Was war hier nur los? Sie hatte dieses verdammte Glas nicht umgeworfen, da war sie sich sicher! Und dass Georg ihr helfen wollte – niemals! Der würde sich eher eine Hand abhacken!
„Oh Mann!“, jammerte er auch sofort. „Das wird jetzt voll rot! Guck mal, was du angerichtet hast!“
Nicht nur Sarah schaute nun auf. Georg hielt bereitwillig seine Hand vor, damit vor allem Tina eine pflaumengroße gerötete Stelle an der Hand bewundern konnte. Als Sarah sie betrachtete, schüttelte sie nur den Kopf. Dafür sollte sie verantwortlich sein? Wie kam er darauf?
„Halt dich von Georg fern!“, keifte Tina sie an. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“
„Aber ich …“, begann Sarah, da flog die Küchentür auf.
Sarahs Vater blieb gleich im Türrahmen stehen, als er die Misere sah. Er schaute verwundert von einem zum anderen, dann auf Georgs Hand. Sarahs Herz machte einen Hüpfer. Endlich kam jemand, der sie nicht gleich anbrüllen würde.
„Geh das mal schnell kühlen, bevor es schlimmer wird“, sagte er zu seinem Stiefsohn.
„Ach nein!“, winkte Georg ab. Er lehnte sich wieder an den Fensterrahmen und tat so, als sei er der Held, der wahnsinnige Schmerzen verkraften konnte.
Peter ging hinüber zu Tina und begrüßte sie mit einem Kuss in den Nacken. Das mochte Sarah an ihm, er blieb selbst in einer Krisensituation ruhig. Sie wandte sich ihrer Arbeit auf dem Boden zu, ließ die Reste von dem Putzlappen in den Eimer gleiten und erhob sich, um ihn am Waschbecken durchzuspülen.
KRACH!
Die Glasschüssel, die neben ihr gestanden hatte, lag auf dem Boden. In einzelne Teile zersprungen, das war ja klar. Sarah sah zuerst auf den Scherbenhaufen, dann rüber zu Tina und Peter. Tinas Gesicht war verzerrt. Obwohl sie diesmal nicht herumbrüllte, wusste Sarah, dass die Grenze der Toleranz bei ihrer Stiefmutter bereits überschritten war. Peter hingegen runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
„Ich glaub, du gehst jetzt lieber in dein Zimmer“, sagte er. Mit großen Schritten stapfte er zum Becken, an dem sie wie erstarrt stand.
„Aber ich hab doch …“, begann sie wieder. Ihre Hände waren noch immer leicht erhoben, sie hielten den Putzlappen, über den das Wasser aus dem Hahn lief. Erkannte denn niemand, dass sie die Schüssel nicht umgestoßen hatte?
„Versuchst du uns jetzt weiszumachen, dass du das nicht warst?“, fragte Tina. Ihre Stimme klang gefährlich böse, es schien, als würde sie sich arg zusammenreißen. „Wer sonst sollte es denn gewesen sein? Du standest dort, genau wie bei dem Bohnenglas!“
„Aber …“
Mehr sagte Sarah nicht. Tina hatte recht, das erkannte sie in dem Moment, als ihr Vater den Wasserhahn zudrehte und sie beiseite schob.
„Geh jetzt in dein Zimmer, bevor noch Schlimmeres passiert“, sagte er. Sie hörte deutlich, wie enttäuscht er war. Hatte er vergessen, dass sonst immer sie es war, die an Tinas Seite stand und ihr half? Dass sie die Einkäufe erledigte, die Wäsche faltete und seit Kurzem sogar bügelte?
„Och, Mama“, säuselte da Georg. „Ich bin ja noch da! Trotz der Schmerzen werde ich dir helfen. Ich deck schon mal den Tisch.“
„Danke, du bist der Beste!“, murmelte Tina.



Autorenvita:
Ich möchte Werte vermitteln und Kinder der Randgesellschaft hervorheben, damit sie schließlich Großes bewirken“
Veronika Aretz wurde 1963 in Aachen geboren, hat Grafik-Design studiert und arbeitet seit 2001 als Selbstständige. Mit ihrem Mann lebt sie in der Nähe von Aachen, ihre drei Kinder sind zum größten Teil schon ausgezogen und studieren. Seit dem Jahr 2000 trainiert sie ehrenamtlich Kinder im Schwimmverein ihrer Heimatstadt.
Durch die Unzufriedenheit ihrer ältesten Tochter über schlechte oder wenig interessante Kinderbücher ist sie Anfang 2000 zum Schreiben zurückgekehrt. Seitdem hat sie mehr als 40 Sach- und Kinderbücher geschrieben.
Bisher veröffentlicht hat sie die „Verflixte-Buch-Serie im Editia Verlag und alle anderen im Eigenverlag (VA-Verlag), der Indie-Autoren mit E-Book und schönem Cover unterstützt. So sind dort auch alle Bücher der „Sarah & Nico-Reihe“ entstanden, ebenso die „Arbeitskarten für den Schwimmunterricht“, die hauptsächlich von Lehrern und Trainern genutzt werden.
Webpräsenz:  www.va-verlag.de
Kontakt: info@va-verlag.de