In der Dittelbachschlucht sieht man nachts Lichter zu
einem keltischen Heiligtum ziehen. Zwei Beobachter haben ihre Neugier schon mit
dem Tode bezahlt. Dort finden Max und Micha in einer Höhle den Hilferuf eines
kleinen Mädchens. Haben die Satanisten ihre Hände im Spiel, die hier Menschen
opfern? Diesmal wird es beinhart und die Jungen müssen an ihre Grenzen gehen.
Kapitel 1: Ein großes Geheimnis
»Kannst du den Mund halten, wenn es wichtig ist?«
Die Jungen standen auf einer schmalen Holzbrücke in
der Schlucht des Dittelbaches und schauten auf die schäumende Flut, die über
zwei Stufen in ein Becken hinunterstürzte. Vom linken Rand kam in einer Rinne
weiteres Wasser herab, das sich unten mit dem Bach vereinigte und dann hinter
einem Felsen verschwand.
Micha Bestmann, vierzehn Jahre alt, mit dunklem Haar
und klugen Augen, sah seinen Begleiter prüfend an.
»Warum fragst du?« Max von Denker blickte erstaunt
auf. Obgleich einige Monate jünger, wirkte er, groß, blond und stämmig, weit
erwachsener als sein Freund. Er hätte glatt sein großer Bruder sein können.
Sie waren mit ihren Fahrrädern bis zum Waldrand
gefahren und dann zu Fuß in die Schlucht hinabgestiegen. Micha hatte sich über
das Ziel ihres Ausflugs in Schweigen gehüllt und mit geheimnisvollen
Andeutungen begnügt. Zunächst aber hatten sie eine seltsame Begegnung.
Auf der Holzbrücke stand ein kleiner Mann, der trotz
des sonnigen Wetters einen schwarzen Regenmantel anhatte und eine Baskenmütze
trug. Er starrte auf das Wasser hinab, als könne er dadurch die Rätsel der Welt
lösen.
»Das ist was für Lebensmüde«, äußerte Max, als sie
ebenfalls Halt machten und hinuntersahen.
Micha nickte. Er war aus dem Ort und wusste
Bescheid. »Vor kurzem hat´s hier wirklich an Unfall geben«, sagte er im
Dialekt. »A Holzknecht ist in den Bach g´fallen. Das Wasser hat ihn die Klippen
abig´rissen. Das war´s dann. Er ist weiter unten tot g´funden worden.«
Der Mann neben ihnen sah auf und kämpfte mit sich,
ob er sich einmischen sollte. Schließlich äußerte er leise, so als spräche er
mit sich selbst: »Ich habe das anders gehört.« Mehr wollte er wohl nicht sagen,
denn er schaute wieder aufs Wasser. Aber irgendwas drängte ihn, doch noch
hinzuzufügen: »In der Schlucht soll es nicht geheuer sein.«
Die Jungen sahen ihn erstaunt an. Als er erkannte,
dass er eine Erklärung schuldig war, fuhr er stockend fort: »Man erzählt von
... seltsamen Geisterprozessionen, ... die einmal im Monat nachts bachaufwärts
schreiten, ... wo sie um Mitternacht ... an einem geheimen Ort ... unheilvolle
Rituale vollziehen. Der Holzknecht ist mit dem Tode bestraft worden, ... weil
er das Treiben belauscht hat.«
»Dummes Gerede und Aberglaube.« Micha lachte
verächtlich. »Die Leute können nicht anders, als hinter jedem Unfall ein
übernatürliches Ereignis zu vermuten.«
»Ich wollte, es wäre so«, erwiderte der Kleine. »Der
Holzknecht ist nicht das einzige Opfer geblieben. In der Schlottermühle hinter
uns ist ein Kellner verschwunden, der ebenfalls dem Spuk nachgehen wollte.«
»Bestimmte Vorfälle häufen sich eben«, sagte Micha,
»besonders wenn sie die gleiche Ursache haben. Hier offenbar die Dunkelheit.«
»Das habe ich
auch zuerst gedacht.« Der Fremde musterte die Jungen unruhig, als sei er sich
nicht sicher, wie viel er noch erzählen solle. Schließlich sprach er zögernd
weiter: »Ich wollte die Gerüchte überprüfen und ... hätte beinahe das gleiche
Schicksal erlitten.«
»Aber Sie haben`s überlebt«, äußerte Micha
gleichmütig. Man sah ihm an, dass er die Sache nicht ernst nahm. Max dagegen
wollte es genauer wissen. »Was ist passiert?«, erkundigte er sich neugierig.
»Es ist neun Tage her, es war Sabbat, die Nacht des
Hexenspuks«, berichtete der Kleine. »Da waren gegen Mitternacht Lichter in der
Klamm hinter der Mühle. Als ich ihnen nachgegangen bin, hat mich eine Gestalt
mit rotglühenden Augen angesprungen. So groß und breit wie ein Kalb. Ich bin
rücklings in den Bach gestürzt. Zum Glück haben mich Sträucher aufgefangen,
sodass ich mit Abschürfungen und Prellungen davongekommen bin. Nicht anders
wird es dem armen Holzknecht ergangen sein; nur dass er nicht so einen
Mordsdusel hatte.«
»Was war das für ein Tier?«, fragte Max neugierig.
Der Kleine wiegte bedächtig den Kopf. »Keiner aus
der Umgebung will darüber sprechen«, erklärte er. »Sie fürchten wohl, dass das
Unglück bringt. Ich habe aber herausgebracht, dass es ein magischer Hund ist,
der die Versammlung der Geister vor Lauschern schützt. Er taucht ebenso
unvermittelt aus dem Nichts auf, wie er plötzlich wieder verschwindet. Wen er
berührt, ist verloren. Ein böser Fluch führt dann früher oder später zum
Abgang!«
Der Fremde brach ab. Man merkte, dass ihm die Angst
in den Knochen steckte. Als er die ungläubigen Gesichter der Jungen sah, rief
er heftig: »Ich verstehe, dass ihr Zweifel habt ... Ich selbst würde es allzu
gern als Aberglauben abtun ... Aber ich bin der lebende Beweis dafür, dass es
nicht so ist. Jedes Mal, wenn ich mich in die Schlucht hineinwage, habe ich ein
Unglück. Dabei werden die Unfälle immer gefährlicher: Es wird wohl nicht mehr
lange dauern, bis ich mich zu Tode stürze.«
In der Tat hatte der Kleine blaue Flecke sowie
offene und verschorfte Wunden an Gesicht und Händen. Er genoss das Mitgefühl,
das ihm entgegengebracht wurde, und erklärte dann: »Jetzt muss ich mich
hinlegen, da ich mir die ganze Nacht um die Ohren geschlagen habe.«
»Haben Sie noch was entdeckt?«, fragte Max, der gern
mehr über die geheimnisvollen Umtriebe erfahren hätte.
»Nein, es war alles ruhig ... Ich habe nicht mal
einen Unfall erlitten.« Der Kleine schien fast enttäuscht darüber.
»Sehen Sie!«, sagte Micha. »Es geht also auch ohne.«
Der Fremde verabschiedete sich und wandte sich zum
Gehen. Dabei stolperte er über eine Holzschwelle und fiel auf das
altersschwache Geländer, das nachgab und sich nach unten neigte. Er wäre ins
Wasser gestürzt, wenn nicht die Jungen zugegriffen hätten. »So, jetzt habt
ihr´s selber gesehen!«, rief er fast erfreut. »Es gibt einen Fluch und er wirkt
immer noch.« Dann entfernte er sich unbeholfen nach einigen Worten des Dankes.
»Hey, das war ein merkwürdiger Vogel«, lachte Max
und bemühte sich, das unheimliche Gefühl abzuschütteln, das ihn bei der
Schilderung des Kleinen überfallen hatte.
»Der Mann ist ein Beispiel dafür, wie Aberglaube
schadet«, äußerte Micha. »Er ist wohl an den großen Wolfshund geraten, der die
Mühle bewacht. Das Tier war natürlich nicht einverstanden, dass sich nachts
dort jemand herumtrieb. Es war also ein ganz normaler Vorgang. Aber, ... weil
der Kleine an Unglück glaubt, hat er Unglück und wird es weiterhin haben,
solange er so denkt. Hier ist nicht der Fluch die Ursache, sondern der Glaube
daran ... Wir müssen also unser Vorhaben nicht aufgeben!« Micha setzte das in einem
Ton hinzu, als wolle er einen Einwand widerlegen.
Max horchte auf. Das hörte sich fast so an, als wenn
die ›Junior-Detektive‹, wie er und Micha scherzhaft genannt wurden, bald wieder
im Geschäft wären.
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